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Heftig beranntes Bett

Gontscharows Roman „Oblomov“ bietet überschaubares Personal, kraftvolle Dialoge, wenig Ortswechsel. Doch an Oblomov ermüdet eben alles – vor allem auch seine Eintheaterung durch das Theater Fürst Oblomov  ■ Von Dirk Nümann

Oblomov endlich als Stück! – so bejubelt das Theater Fürst Oblomov das Theater Fürst Oblomov auf der Einladungskarte zum Theater „Fürst Oblomov“, weil jeder Theatergänger ja schon immer darauf gewartet hat, „Oblomov“ im Theater und besonders im Theater „Fürst Oblomov“ zu sehen. Wozu werden denn sonst Romane geschrieben: Kafkas „Prozeß“? Ein Theaterstück. Dostojewskis „Schuld und Sühne“? Ein Bühnenwerk. Und wann greift endlich ein beherzter Dramaturg nach Tolstois „Krieg und Frieden“?

Dagegen scheint die Eintheaterung von Gontscharows Meisterwerk auf den ersten Blick eine Fingerübung zu sein (an der sich übrigens schon Kroetz 1968 versuchte). Der Roman bietet überschaubares Personal, kraftvolle Dialoge, wenige Ortswechsel, und die Handlung – immerhin 654 Seiten! – läßt sich in einem Satz zusammenfassen: Da liegt jemand jahrelang im Bett, steht einmal kurz auf, weil er glaubt, verliebt zu sein; doch das war nur ein Irrtum, also legt er sich für den Rest seiner Tage wieder aufs Ohr.

Daß diese Geschichte, die eigentlich keine rechte Geschichte ist, nicht langweilig ist, macht wohl das Meisterwerk zum Meisterwerk. Statt Weltpanorama gibt Gontscharow ein Psychogramm, über dessen Interpretation auch knapp 150 Jahre nach der Entstehung noch gerätselt wird: Ist der begnadete Schläfer Oblomov nun der Typ des adligen Parasiten, über den schon Lenin wetterte, ein „aufgedunsener Faulpelz“, der die untergehende feudale Gesellschaft symbolisiert? Oder ist er eine Art Anti-Faust, bewußter Verweigerer, Anarchist, der sich in Kontemplation übt – gegen den modernen Materialismus? Und wie ist Stolz zu bewerten, der Freund Oblomovs, der ihn aus dem Bette treibt: Überwinder der untergehenden Klasse oder Kapitalist? Idealer Mensch oder Roboter?

Doch Jürgen Bonk rätselt über „Oblomov“ nicht. Den Leiter, Dramaturgen und Regisseur am Theater „Fürst Oblomov“ kümmern all diese Fragen wenig. Er vermeidet jede eindeutige psychologische oder philosophische Lesart des Textes. Er legt nicht die innere Struktur frei, spitzt nicht zu; er versucht möglichst viel der äußeren Handlung auf die Bühne zu stellen; er geht in die Breite – mit der Folge, daß die Figuren verflachen. Oblomov wird nicht abstrahiert, sondern karikiert.

Die Bühne (Malgorzata Horak und Ensemble) zeigt das Prinzip. Teppich, Karaffen, Steinofen, Ikonen und allerlei Gerümpel zitieren russisches Milieu; doch der Steinofen ist hohl, man schlürft aus leeren Gläsern, das Huhn ist aus Plastik, man löffelt aus leeren Tellern: die Welt als Staffage. Im Zentrum ein massives Eichenbett, die Behausung Oblomovs: Im Roman ist es eine Burg gegen die Hektik und Unerbittlichkeit der Welt; im Drama ein Ort der Unruhe, heftig berannt von kauzigen Gestalten. Keine Stätte des Schlafs und Traumes, eine des raschen Dialogs und deftigen Spaßes.

Oblomov ist in der Interpretation von Wolfgang Noack auch nicht gelassen, weich, verträumt, sanft wie bei Gontscharow, sondern knurrig, hilflos, verzweifelt, mißlaunig. Was ihn bewegt, sich von der Welt abzusondern, erzählt Regisseur Jürgen Bonk wieder nicht von innen heraus, nicht aus dem Denken Oblomovs, sondern von außen, indem er um ihn lauter Karikaturen einer deformierten Welt versammelt: Nassauer mit Verbrechervisagen, ein Dienstmädchen mit Piepsstimme, einen grummeligen Boten, eitlen Gekken, verkappten Dichterling, einen graubetuchten Beamten, eine Tunte in lila Strumpfhosen und Stolz als Banker mit dem unvermeidlichen Handy.

Wie bei einer Typenkomödie Molières wechseln die Figuren sich ab in lustigen Auftritten; nur daß bei Molière eine Intrige alles antreibt; doch die ist hier nicht vorhanden. Hier liegt nur ein müder Oblomov inmitten der Bühne: Mehr ein Prellbock der Aktion denn ein Motor; an ihm müssen alle Einfälle erlahmen. Da hilft kein russischer Gesang, kein Gitarrengeschrummel, keine Akrobatik, und noch nicht mal Zauberei. Um Punkt elf Uhr verläßt der Rezensent das Theater Fürst Oblomov, beherrscht von nur einem Gedanken: Endlich zu Bett!

„Oblomov“ nach dem Roman von Iwan Gontscharow. Regie und Bühnenfassung: Jürgen Bonk, Ausstattung: Malgorzata Horak und Ensemble. Mit Wolfgang Noack, Michael Peter, Katrin Schell, Frank Schütze, Norbert Schnöde u.a. Theater „Fürst Oblomov“, Neue Promenade 6, 10178 Berlin. Nächste Vorstellungen: Heute, 20 Uhr, dann noch einmal 3. und 4. 3.

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