Licht & Schatten
: Packen und festhalten

■ Verwirrte Frauen, Bildhauerinnen, irre Lehrer, wütende Schwarze

Andrew Klavan: „Die Stunde der Schatten“, Bertelsmann, 384 Seiten, gebunden, 42 DM

Das Buch beginnt wie eines dieser populären Fantasy-Märchen, die in verschiedenen Zeit- oder Wahrnehmungsebenen spielen: New York am 31. Oktober, Halloween. Nancy Kincaid fährt wie jeden Morgen zur Arbeit. Sie fühlt sich nicht besonders, steht kurz vor einer Grippe. Die U-Bahn ist brechend voll, und Nancy weiß, daß es ein beschissener Tag werden wird. Alles ganz normal, alles wie immer. Als sie jedoch die Rechtsanwaltskanzlei, in der sie arbeitet, betritt, erlebt sie eine Überraschung: Man kennt sie dort nicht. Nancy hält das zunächst für einen Scherz, doch man läßt sie nicht in ihr Büro, man sagt ihr, man kenne Nancy Kincaid, und sie sei es sicher nicht. Schließlich droht man, die Polizei zu rufen. Nancy wird hysterisch, rennt völlig verzweifelt auf die Straße, nur um noch eine weitere Überraschung zu erleben: In ihrer Tasche findet sie einen Revolver, und sie weiß nicht, wie die Waffe dort hineingekommen ist ...

Aus dieser Ausgangssituation hätte ein Stephen King einen unheimlichen Roman mit Parallelwelten, wie in „Der Talisman“, gemacht. Doch wir befinden uns in einem Psychothriller und stellen uns prompt die beabsichtigte Frage: Wie zum Teufel will der Autor da wieder herauskommen, ohne sich lächerlich zu machen? Nun, er kommt raus und zwar logisch und auf eine durchaus glaubhafte Weise. Doch zunächst melkt er die Situation noch ein bißchen, steigert die Spannung, legt falsche Fährten, und immer wenn man denkt, so könnte es gewesen sein, zeigt uns Klavan einen neuen Winkel des Rätsels. Hitchcock hätte diese Geschichte geliebt.

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George D. Green: „Die Geschworene“, Droemer Knaur, 416 Seiten, gebunden, 39,80 DM

Für „Die Geschworene“ hat sich Green ein klassisches Pulp- Fiction-Szenario ausgesucht: Ein Mafiaboß steht vor Gericht, und seine Jungs draußen versuchen, die Jury unter Druck zu setzen, um einen Freispruch zu erwirken. Es gibt unzählige Krimis, Filme und TV-Serienepisoden, die diese Geschichte erzählen. Trotzdem schafft es Green, die Sache frisch aussehen zu lassen. Das verdankt er vor allem der Charakterisierung seiner Hauptakteure: Auf der einen Seite haben wir da die etwas naive Bildhauerin und alleinerziehende Mutter Annie Laird, die als Geschworene in einem Mordprozeß berufen wird und fest entschlossen ist, ihre Bürgerpflicht zu erfüllen. Auf der dunklen Seite steht Vincent, genannt „der Lehrer“, Vollstrecker des Mob. Der „Lehrer“ ist ein Intellektueller, praktizierender Taoist, leicht irre und ein äußerst raffinierter Killer. Er sieht gleich in Annie und ihrem zwölfjährigen Sohn die idealen Opfer. Die Spannung entsteht dadurch, daß die kreuzbrave Annie das Richtige tun, aber auch sich und ihren Sohn schützen möchte. Ihr Gegenspieler weiß das und ist ihr immer einen Schritt voraus.

Das Ende solcher Geschichten ist bekannt. Wenn ein Autor es schafft, den Leser trotzdem zu packen und bis zum letzten Kapitel festzuhalten, ist er ein Könner. George Green ist ein solcher.

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Chester Himes: „Plan B“, Alexander Verlag, 220 Seiten, 19,80 DM

Chester Himes war zweifellos einer der besten zeitgenössischen Krimiautoren. Seine Romane sind hart, ohne Verzerrung. Wenn es um den Kampf der Schwarzen um Gleichberechtigung ging, war er radikal. Seine Vorstellung von einer schwarzen Revolution sah so aus, daß „die Schwarzen so viele Mitglieder der weißen Gemeinschaft töten, wie sie töten können. Das bedeutet Kinder, Frauen, erwachsene Männer, Industrielle, Straßenfeger, oder was immer sie sind, solange sie weiß sind. Nur so kann das Ziel erreicht werden – darüber gibt es keine Diskussionen. Es ist sinnlos, irgend etwas anderes zu tun, und es gibt keinen Grund, sich über Alternativen Gedanken zu machen.“ Als Himes 1984 starb, hinterließ er einen fast fertigen, letzten Krimi. Für „Plan B“ existierte zwar kein ausgearbeiteter Schluß, aber es lag ein detaillierter Entwurf dafür vor, und so können wir jetzt Grave Digger Jones und Coffin Ed Johnson in ihrem letzten Fall ... nein, nicht bewundern, eher bedauern, denn auch sie sind nicht in der Lage, die Allmacht des Rassismus zu überwältigen. „Die gewalttätigste Geschichte, die ich je in Angriff nahm“, sagte Chester Himes über „Plan B“. „Es geht um einen organisierten Aufstand der Schwarzen, der extrem blutig und gewalttätig ist, wie ein solcher Aufstand sein muß.“ Karl Wegmann