piwik no script img

SPD-Wahltaumel im Schneckentempo

■ S/M hieß die Alternative für die SPD / Genossen krochen gemächlich zu Kreuze

Und die Schnecke bewegt sich doch. 35 Prozent Wahlbeteiligung schon um 13 Uhr. „Damit liegen wir ganz vorne“, freut sich Wahlkampfleiter Kurt Lange im SPD- Büro am Kollwitzplatz. Und wer gewinnt noch? Sozialstadtrat Kraetzer antwortet am schnellsten: „Das mit der Vorliebe des Ostens für Momper ist ein Zweckgerücht.“

325 von insgesamt 24.500 Mitgliedern mit dem roten Parteibuch durften gestern in Prenzlauer Berg über die Frage Fortschritt oder Barbarei entscheiden. „Der Momper“, ist sich ein Sozi-Grüppchen in der Knaackstraße sicher, „hat bei uns keine Chance.“ Irana Rusta, Bezirksverordnete der Partei, kann da nur zustimmen: „Walter Momper steht für die Räumung der Mainzer Straße, mit dem kann ich den Leuten hier in Prenzlauer Berg nicht kommen.“ Ein Stammgast aus der Juso-Rotweinzentrale „Weinstein“ nickt: „Wenn jemand Momper wählt, dann sind es die zugereisten Wessis.“

Mehr noch als der Wettlauf zwischen Hase und Igel wird der S/M- Schaukampf um den Peitscher Diepgens seit Wochen mit Spannung erwartet. Doch der Fortschritt ist ein unsicherer Gesell. Ging es in Prenzelberg zu wie weiland bei Bürgerrechtlers, atmete das Wahllokal im Rathaus Friedrichshain den Geist einer Schluckimpfung gegen Mitgliederlähmung. Bis 13 Uhr waren erst 28,9 Prozent der Probanden zu Kreuze gekrochen. Allen Vorsätzen und Prognosen (weniger Kreuze ist ein Kreuz weniger) zum Trotz, steht an der Frankfurter Allee die Ampel auf Rot. „In Friedrichshain liegt der Momper um Nasenlängen vorne“, verkündet mit stauerprobter Stimme SPD-Bürgermeister Helios Mendiburu. Einer freilich offenbart: „Ich habe Stahmer gewählt.“

Stop and go auch beim „bunten Rahmenprogramm“ der SPD im Rathaus Wedding. Die Jungschnecken sind in der Minderheit, die Szenerie erinnert, trotz der Abwesenheit von Ingrid Stahmer, an einen Rentnertratsch im Seniorenheim. Dafür gibt's Momper samt Fangemeinde (Bergmann-Böger- Borsig), reichlich Blasmusik sowie Kaffee und Kuchen und eine Talkshow allererster Sahne, bei der Glatzkopf Momper bekennt, am liebsten Frauensenatorin zu werden. Dann wird er politisch: „Mehr Rot rein in die Stadt! Schwarz rauszwingen aus der Stadt!“ Beifall. Ein Mann sieht rot, und keiner sieht weg. Im roten Wedding herrscht Wahltaumel. Selbst über die Länderehe kann hier, neben dem Eingang zum Standesamt, abgestimmt werden.

In Kreuzberg kriecht dagegen alles seinen Gang. Beim „Alten Kreuzberger“ will man vom Schneckenlauf nichts mehr wissen. Der SPD-Troß hat sich längst davongemacht, eine Schleifspur freilich bleibt zurück. „Lieber Mampe als Momper“, lallt einer, der als Schnecke ohne Behausung genug hat von der Politik. Uwe Rada

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen