Michael Jackson für 2,70 Mark

■ In China gibt es CD-Raubkopien an jeder Straßenecke und Computersoftware unterm Ladentisch / Unsicherheit der USA über ihre künftige Handelspolitik mit China und die Rolle der dortigen Militärs

Berlin (taz/AP/wps/AFP) – Der US-Handelsbeauftragte Mickey Kantor hielt am Samstag eine Computerdiskette in die Luft. Mehr als 10.000 Dollar könnten die US-Hersteller dafür erzielen – aber in Peking werde eine Raubkopie für weniger als 100 Dollar gehandelt. Allein im Software-Bereich gingen der US-Industrie 1993 weit über 300 Millionen Dollar verloren, weil chinesische Fabriken die Programme in großem Stil abkupfern, schätzt die International Intellectual Property Alliance. Noch höher sollen die Verluste bei CDs und Musikkassetten sein. Und auch die Kino- und Videoindustrie beschwert sich heftig, daß ihre Kassenbrüller in China für ein paar Dollar zu haben sind – oft sogar früher als in den USA.

So können Chinesen den Walt- Disney-Streifen „König der Löwen“ bereits auf Video sehen, während in den USA die Leute dafür bisher noch ins Kino gehen müssen. Besonders ärgert die geistigen Urheber aus den USA, daß die Kopien inzwischen auch in anderen asiatischen Ländern und in Lateinamerika auftauchen. An jeder Straßenecke in Peking werden potentiellen Kunden CDs angeboten: Für 15 Yuan – etwa 2,70 Mark – kann man die neusten Songs von Elton John oder Michael Jackson erstehen. Aber auch Klassik haben die fliegenden Händler im Angebot. Computersoftware gibt es hingegen seltener auf der Straße zu kaufen, aber Eingeweihte wissen, wo die Spezialgeschäfte zu finden sind.

Um die chinesische Seite zu überführen, schickte das US-Handelsministerium vor kurzem eine Delegation in ein staatliches chinesisches Hotel. Dort bot man ihnen Videokassetten für einen gemütlichen Abend an. Doch obwohl die US-Abordnung das Beweismaterial am nächsten Tag zu den Verhandlungen mit dem chinesischen Handelsministerium mitbrachte, zeigte sich die andere Seite unbeeindruckt. Man versuche sein Bestes, versicherten die chinesischen Regierungsvertreter: Schärfere Gesetze seien bereits verabschiedet und mehrere Herstellerbetriebe für Raubkopien geschlossen worden. US-Vertreter glauben, daß die Fabrikbetreiber nichts zu fürchten hätten, weil sie gute Beziehungen zum chinesischen Militär hätten.

Tatsächlich sind die China-Analysten in den USA sehr unsicher, wie es nach dem bevorstehenden Tod von Deng Xiaoping weitergeht. Der als relativ schwach eingeschätzte Präsident und KP-Chef Jiang Zemin soll von einer Clique Technokraten und Militärs umgeben sein, die für einen Konfrontationskurs mit den USA stehen. Aber auch die US-Regierung eiert in ihrer China-Politik. Zunächst waren die Sanktionen wegen der Raubkopiererei für den 4. Februar angekündigt, jetzt wurden sie auf den 26. Februar verschoben. Und im letzten Jahr hatte US-Präsident Clinton zunächst die Verlängerung der Meistbegünstigungsklausel von Fortschritten bei den Menschenrechten abhängig gemacht. Die chinesische Führung lehnte das ab, Clinton verlängerte die Klausel trotzdem. aje