Dicke Luft und kaum Kontroversen in der Kantine

■ Landesparteitag der Berliner PDS beschließt Tolerierungsangebot an Rot-Grün

Berlin(taz) – Der Kontrast hätte nicht größer sein können. Die Berliner PDS, so hatte die Landesvorsitzende Petra Pau ein Kapitel ihrer Rede überschrieben, sei „auf dem Wege zu einer modernen sozialistischen Partei“. Der Veranstaltungsort, der für den Landesparteitag ausgesucht worden war, schien eher nostalgische Erinnerungen hervorzurufen: Eine rustikale Kantine der Elpro-Werke im Ostberliner Plattenbau-bezirk Marzahn diente den 175 Delegierten als Rückzugsgebiet zur Beratung für die Abgeordnetenhauswahl am 22. Oktober.

In der stickigen Luft kamen Kontroversen nicht auf. Mit großer Mehrheit folgte der Landesparteitag einem Strategiepapier, in dem Rot-Grün ein Tolerierungsangebot gemacht wird. Auch die vom Berliner Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) verfügte nachrichtendienstliche Beobachtung der AG Junge GenossInnen sowie der Kommunistischen Plattform durch den Verfassungsschutz wurde gelassen hingenommen.

Konnte die Partei Inhaltliches kaum erschüttern, so sorgten immerhin zwei Rücktritte für ein wenig Abwechslung. Am Samstag hatte der Westlinke Dirk Schneider seinen Abschied vom Landesvorstand bekanntgegeben. Der ehemalige Grüne – in den 80er Jahren Bundestagsabgeordneter und Stasi-Zuträger – war über den Westaufbau der PDS mit seinen Genossen in Streit geraten. Am Sonntag folgte ihm dann der Landesgeschäftsführer Friedemann Reinhold, aus „persönlichen Gründen“. Zwei Ausnahmen in einer geölten Parteitagsmaschinerie.

Nur sieben Delegierte verweigerten sich schließlich dem Strategiepapier, das der Vorstand vorgelegt hatte. Dessen Kernpunkte: mit „mindestens 15 Prozent“ (bei der Bundestagswahl waren es 14,8 Prozent) drittstärkste Kraft zu werden. Zudem erhofft sich die PDS, nach der am 22. Oktober paralell stattfindenden Kommunalwahl im Ostteil mehrere Bezirksbürgermeister stellen und erstmals auch in westliche Bezirksverordnetenversammlungen einziehen zu können. Der Streit zwischen dem eigenen Anspruch, Fundamentalopposition zu sein und dem Willen, zugleich einen rot-grünen Regierungswechsel zu unterstützen, spielte nur unterschwellig eine Rolle. Dabei zeichnet sich gerade im Berliner Landesverband der Konflikt zwischen Fraktion und Bezirksfürsten ab. Ein typisch Berliner Konflikt, den CDU und SPD seit Jahren austragen. Aus den Ostbezirken, wo die PDS mehrere Stadträte stellt, meldeten sich vereinzelt Stimmen zu Wort, die „Opposition durch Amt“ betreiben wollen, wie es ein Köpenicker Bezirkstadtrat formulierte.

Während im Osten die Rollendefinition noch völlig ungeklärt ist, kämpft die Westberliner PDS mit den Kinderkrankheiten der West- Linken. In den Bezirksgruppen, wie etwa in Kreuzberg, streiten ehemalige Grüne, SPDler, Trotzkisten und Anarchisten um den ideologisch reine Lehre. Landesvorsitzende Pau brachte das Erscheinungsbild der westlichen Bezirksorganisationen auf einen kurzen Nenner: Es sei da mehr die „Summe“ vormals konkurrierender bis verfeindeter Organisationen entstanden als „etwas wirklich Neues“. Severin Weiland