Kandidat ohne Glatze

■ Die SPD-Basis wählt Sozialsenatorin Ingrid Stahmer zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl

Berlin (taz) – Rund zwei Drittel der 24.000 SPD-Mitglieder haben in einer bundesweit erstmalig durchgeführten Urwahl entschieden, mit Sozialsenatorin Ingrid Stahmer im Oktober in den Kampf um das Amt des Regierenden Bürgermeisters zu ziehen. Zwei Stunden nach dem Schließen der 113 Wahllokale war der Trend für Stahmer überdeutlich. Zwar schnitt der ehemalige Regierende Bürgermeister Walter Momper im Ostteil der Stadt wie erwartet mit rund 51 Prozent besser ab, doch entscheidend war der mit 16.000 Mitgliedern doppelt so starke Westteil. Hier hatte Stahmer die Nase vorn. Als die Gewinnerin auf der zentralen Wahlveranstaltung in Schöneberg auftauchte, wurde sie mit langem Applaus und Blumen begrüßt. Stahmer machte für sich geltend, sie habe „Offenheit, Fairneß, Beteiligung der Bürger und einen Dialog für die Stadt ernst gemeint“. Der Beifall für den Bauunternehmer Momper blieb dagegen verhalten. Statt Blumen bekam er vom Landesvorsitzenden Detlef Dzembritzki Worte wie „Respekt und Anerkennung“. An der Wahl nahmen über 60 Prozent der SPD- Mitglieder teil – über 30 Prozent mehr als bei der Urwahl zum Bundesparteichef. Die Rechnung der SPD, mit der Urwahl die Medien zu gewinnen, ging auf. Als ob es sich bereits um die Wahl des Regierenden Bürgermeisters selbst gehandelt habe, tobten gestern über 15 Kamerateams auf der Veranstaltung herum. In Mompers Lager, dem offenbar auch das Ende der rot- grünen Koalition 1990 angekreidet wurde, herrschte dagegen schlechte Stimmung. Der Abgeordnete Joachim Günther wußte, wer schuld war: die Basis.

Momper hatte in den letzten drei Monaten den Wahlkampf aktiver genutzt als seine Konkurrentin. Beide lagen inhaltlich nicht fern voneinander. Unterschiede wurden nur im Stil deutlich. Momper sei über seinen „Kommandoton“ gestürzt, kommentierte Kreuzbergs Bezirksbürgermeister Peter Strieder das Ergebnis. Wirtschaftssenator Norbert Meisner sah den Grund für Mompers Niederlage in seiner polarisierenden Persönlichkeit. Die SPD, die in West- und Ostberlin gleich stark sei, brauche einen Regierenden, der vermittelt. West-CDU und Ost-PDS würden „keine Rücksicht auf übergreifende Themen“ nehmen. Dirk Wildt Seite 21