■ bücher.klein
: IM „Sekretär“ – große Amnesie

Der Autor versteht sein Werk als einen Beitrag zur „Amnesiedebatte“. Sie lesen richtig: Amnesie, nicht Amnestie. Für Erhard Neubert, Referent in der Studien- und Begegnungsstätte der EKD in Berlin und beratender Mitarbeiter der Bündnis-Fraktion im Stolpe-Ausschuß des Brandenburger Landtages, kann von einer Straffreiheit schon wegen des Mangels an Verurteilungen keine Rede sein. Der Mann, der wie wenige die Auseinandersetzung um die Stasi-Vergangenheit von Ministerpräsident Manfred Stolpe verfolgt hat, stellt jetzt die divergierenden Berichte gegenüber, die von den verschiedenen Fraktionen im Potsdamer Landtag zum Abschluß des Untersuchungsausschusses vorgelegt wurden. Das Buch ist vor allem ein Beitrag gegen oben erwähnte Amnesie. Wer redet heute noch vom IM „Sekretär“, dem Decknamen, den die Staatssicherheit dem früheren Konsistorialpräsidenten Stolpe verpaßte?

Der Streit um die Stasi- Verstrickungen endete abrupt mit der Landtagswahl im vergangenen Herbst. Die absolute Mehrheit, welche die von Stolpe angeführten Sozialdemokraten erzielten, wirkte wie ein plebiszitärer Freispruch für den beschuldigten Ministerpräsidenten. Der Frage, ob ein solches Votum prinzipiell hingenommen werden muß, geht Erhard Neubert nicht nach. Er stellt nur die verschiedenen Schlußfolgerungen gegeneinander, die die Fraktionen im Ausschuß nach zweieinhalbjähriger Arbeit zogen. Und die laufen diametral auseinander. Neubert hat das Votum der Ausschußmehrheit (SPD, FDP und PDS) und die angehängten Minderheitenberichte (CDU und Bündnis) in eine lesbare Fassung gebracht, die vom Ausschuß vorgelegten 1.500 Seiten wurden auf rund 280 Seiten komprimiert.

Ein Nachteil scheint Neubert, daß „nichts Neues“ zur Frage der Stasi-Belastung Stolpes zu finden ist. Was der Autor vergangenen Mittwoch bei der Präsentation als Handicap wertete, ist jedoch eher Vorteil. Er hat an den entscheidenden Wertungspunkten den LeserInnen an die Hand gegeben, sich selber ein Urteil zu bilden. Das unterscheidet Neuberts „Abschlußbericht des Stolpe-Untersuchungsausschusses“ von den bisherigen Publikationen, die allesamt von parteilichen Interessen geprägt sind.

Im letzten Kapitel ist auch die Landtagsdebatte anläßlich des Schlußberichtes aufgenommen. Darin findet sich ein Satz des zeitweiligen Ausschußmitgliedes Rosemarie Fuchs (erst FDP, dann parteilos): „Man versucht, einen Keil zwischen Herrn Stolpe und die Brandenburger zu treiben ... Wer dies tut, der riskiert die innere Spaltung Brandenburgs.“ Da ist sie, die „Amnesie“, der Neubert entgegentreten möchte. Wolfgang Gast

Der Bericht des Stolpe- Untersuchungsausschusses, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.)

Köln 1994; 288 Seiten, 10 DM