piwik no script img

Walesa will Polens Politiker auflösen

Der polnische Präsident fordert das Parlament zum Massenrücktritt auf und überlegt die Bildung einer „großen Reformkraft“ / Die Regierung verweist auf ihre eigenen Reformen  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Polens Präsident Lech Walesa hat bei einem Treffen mit dem Parlamentspräsidium das Parlament aufgefordert, sich selbst aufzulösen. „Tretet zurück“, rief er Abgeordneten vor laufenden Fernsehkameras zu, „Polen hat keine Zeit mehr, an der grünen Ampel stehenzubleiben. Wenn Ihr euch nicht selbst entscheidet, werde ich nicht tatenlos bleiben.“ Was er tun werde, sollte das Parlament sich nicht auflösen, ließ er allerdings offen.

Während der gemeinsamen Sitzung, in der zahlreiche Abgeordnete der Opposition und der Regierungskoalition Walesa heftig kritisierten, zeichnete sich allerdings auch eine Annäherung zwischen den regierenden Sozialdemokraten und Walesa ab. Walesa ließ erkennen, daß sein eigentliches Ziel eine Umbildung der Regierung oder eine Neubildung der Koalition ist. „Stagnation ist kein politisches Konzept“, versicherte der Führer der Sozialdemokraten, Aleksander Kwasniewski. Kwasniewski wurde von Walesa bereits mehrmals aufgefordert, anstelle Waldemar Pawlaks den Posten des Premierministers zu übernehmen. Dies haben Vertreter der Bauernpartei, deren Chef Premier Pawlak ist, stets abgelehnt. Kwasniewski selbst erklärte mehrmals, er sei bereit, zu kandidieren.

Waldemar Pawlak selbst wehrte sich in langatmigen Ausführungen gegen die Behauptung, die Regierung beschäftige sich nur mit ihrem politischen Überleben, und zählte einen politischen Erfolg seiner Amtszeit nach dem anderen auf: daß Polen die „Partnerschaft für den Frieden“ mit der Nato unterschrieben, die Renten erhöht und für mehr soziale Gerechtigkeit gesorgt habe. „Ist das Stagnation?“ fragte er rhetorisch.

Wie ernst nimmt Walesa Polens Verfassung?

Auf einer Pressekonferenz nach dem Treffen erklärte der stellvertretende Parlamentspräsident und stellvertretende Bauernparteichef Jozef Zych, die nun beginnenden Verhandlungen über eine Regierungsumbildung müßten „im Rahmen der Koalition“ stattfinden. Er habe nicht die Absicht, Pawlak zu einem Rücktritt als Premierminister zu raten.

Aufregung verursachte in Polen auch eine Meldung der Tageszeitung Gazeta Wyborcza, die bereits am Sonntag abend über Radio verbreitet wurde, und der zufolge Walesa erwogen haben soll, nicht nur das Parlament aufzulösen, sondern auch an der Verfassung vorbei Pawlak durch den walesahörigen Generalstabschef General Tadeusz Wilecki zu ersetzen. Walesa erklärte dazu vor dem Parlamentspräsidium empört, dies sei eine absolut aus den Fingern gesogene Falschmeldung, die kein vernünftiger Mensch ernst nehmen könne. Auch der walesakritische und von Walesa mehrmals attackierte stellvertretende Parlamentspräsident Aleksander Malachowski stimmte Walesa dabei zu. In einer Pressekonferenz unmittelbar nach dem Treffen mit dem Parlamentspräsidium erklärte Walesa auf wiederholte Fragen der Journalisten, er erwäge, seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen im Herbst „auszusetzen“ und eine „große Reformkraft zu gründen, die die Dinge weitertreibt“ – sollten Parlament und Regierung seiner Forderung nicht nachkommen, über eine Regierungsumbildung und die Zukunft der Koalition zu beraten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen