Die wahren amerikanischen Werte

Nach ihrem Wahlsieg kämpfen die Republikaner gegen die kulturelle „Destruktion“ durch dunkle Kräfte  ■ Von Andrea Böhm

Man kann die Angelegenheit im nachhinein als Mißverständnis betrachten. Die einen meinen, an diesem Jahrestag gebe es etwas zu feiern und zu würdigen. Das Ende des Zweiten Weltkrieges, den Sieg über Japan, die Überlegenheit des amerikanischen Militärs. Die anderen denken, daß dieser 50. Jahrestag eher Anlaß zum Nachdenken, womöglich Erschrecken ist. Über die Toten von Hiroshima und Nagasaki; über die Folgen der radioaktiven Verseuchung für die Überlebenden; über die Frage, ob der Einsatz dieser beiden Bomben mit den Kosenamen „Little Boy“ und „Fat Man“ tatsächlich nötig war, um Japan zur Kapitulation zu zwingen; über den Umstand, daß der Einsatz der Atombombe 1945 auch unter amerikanischen Militärs umstritten war.

Über diese Frage wird in US- Historikerkreisen seit Jahrzehnten gestritten. Im Mai diesen Jahres hätte diese Debatte eigentlich im Museum einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden sollen. Nicht irgendwo, sondern im „National Air and Space Museum“ in Washington, einem Bestandteil des renommierten „Smithsonian Institute“. Vor fast zehn Jahren hatten sich dort erstmals Historiker und Museumspädagogen zusammengesetzt, um eine Ausstellung vorzubereiten, die „zu einer gründlicheren Diskussion über die Atombombenabwürfe“ beitragen sollte, geplanter Titel: „Der letzte Akt: Die Atombombe und das Ende des Zweiten Weltkriegs“. Doch kaum waren erste Entwürfe bekanntgeworden, begannen konservative Militärhistoriker und Veteranenverbände Sturm zu laufen. Die Ausstellung sei politisch einseitig, würde die Japaner nur als Opfer darstellen und die Motive von Präsident Harry Truman für den Einsatzbefehl moralisch in Frage stellen. Vor zwei Wochen protestierten über 80 Kongreßabgeordnete der Demokraten und Republikaner schriftlich gegen die Ausstellung und verlangten den Rücktritt des verantwortlichen Direktors des „National Air and Space Museum“, Martin O. Harwit.

Streit um Hiroshima- Gedenkausstellung

Letzte Woche nun sagte der Direktor des „Smithsonian Institute“, Michael Heyman, das Vorhaben sang- und klanglos ab. Die Museumsbesucher werden nur noch den blankgeputzten Rumpf der „Enola Gay“, jenem Kampfflugzeug, aus dem die Bombe auf Hiroshima abgeworfen wurde, sowie ein Videoband über die Besatzung zu sehen bekommen.

Heymans Begründung ist denkwürdig: „In diesem wichtigen Gedenkjahr erwarteten die Kriegsveteranen und ihre Familien zu Recht, daß die Nation ihren Heldenmut und ihre Opferbereitschaft ehrt und würdigt. Sie haben nicht nach einer Analyse gesucht. Und wir haben, ehrlich gesagt, nicht berücksichtigt, welch intensive Emotionen eine solche Analyse provozieren würde.“ Und: „Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß unser grundsätzlicher Fehler darin lag, zu versuchen, die historische Auseinandersetzung über den Einsatz von Atomwaffen mit den Feiern zum 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs zu verbinden.“

Während Veteranenverbände wie die „American Legion“ die Entscheidung beklatschten, kritisierten andere sie als ein intellektuelles und politisches Armutszeugnis sondergleichen. „Das erinnert an die McCarthy-Ära“, erklärte der Historiker Robert Musil, der für die Friedensorganisation „Ärzte für soziale Verantwortung“ arbeitet. „Auch damals haben militärfreundliche Gruppen direkt interveniert, wenn es darum ging, was über amerikanische Geschichte oder amerikanische Kultur gelehrt, gelernt und ausgestellt werden darf.“ US-Präsident Clinton ließ ausrichten, daß er Heymans Schritt unterstütze. Obwohl hier auch der Schutz der akademischen Freiheit zur Debatte stünde, seien einige Einwände der Veteranenorganisationen aber doch berechtigt.

Dabei hat Clinton die Ausstellung nie gesehen. Er kann lediglich dem 600 Seiten umfassenden Konzept der verhinderten Ausstellungsmacher entnehmen, was die Besucher nun alles nicht zu sehen bekommen: Aufnahmen von japanischen Kamikaze-Attacken, der Schlacht um Iwo Jima, Augenzeugenberichte von Überlebenden sowie historische Dokumente über die damalige Diskussion in der US- amerikanischen Militärführung; über die Einwände des damaligen Generalstabschefs Admiral William Leahy, der den Einsatz der Bomben barbarisch nannte; und über die Motive Trumans, mit dem Abwurf der Bomben die Sowjetunion vor Expansionsgelüsten zu warnen.

All dies wird nun erst einmal in Lagerräumen und Aktenschränken verschwinden – und möglicherweise im Frühling wieder entstaubt werden, wenn das Smithsonian Institute zusammen mit der University of Michigan ein Diskussionsforum veranstaltet. Thema: „Wie sollen Museen mit kontroversen Themen umgehen?“

Daß man im „Smithsonian“ beschlossen hat, mit dem kontroversen Thema des Atombombenabwurfs gar nicht umzugehen, liegt nicht zuletzt am Wahlsieg der Republikaner im letzten November und ihrer Ankündigung einer Revolution gegen alle und alles, was nach den Worten des selbsterklärten Revolutionsführers Newt Gingrich „destruktiv auf die amerikanische Zivilisation einwirkt“. Explizit zählt Gingrich zu diesen dunklen Kräften die „National Endowment for the Arts“ (NEA), die „National Endowment for the Humanities“ (NEH) sowie die „Corporation for Public Broadcasting“ (CPB).

Alle drei Einrichtungen wurden Mitte der sechziger Jahre ins Leben gerufen. Die NEA und die NEH sind staatlich finanzierte Stiftungen zur Förderung der Künste respektive der Humanwissenschaften. Die CPB verwaltet und verteilt den staatlichen Finanzierungszuschuß für den öffentlichen Rundfunk in den USA. Im Weltbild von Gingrichs Republikanern sind diese Institutionen Ausgeburten der liberalen Ära der sechziger Jahre, als die Zerstörung der wahren amerikanischen Werte wie Patriotismus, Verantwortungsgefühl, Familiensinn und Religiösität ihren Anfang nahm. In den Augen Gingrichs sind sie zudem durchweg mit Vertretern der liberal elite oder cultural elite besetzt.

Was sich aus dem Munde des Sprechers des US-Repräsantenhauses oft wie eine höchst wirre Verschwörungstheorie anhört, hat für die betroffenen Einrichtungen bedrohliche Konsequenzen. Zum ersten Mal könnten jene Kongreßabgeordneten eine Mehrheit finden, die der NEA, der NEH und auch der CPB den staatlichen Geldhahn ganz zudrehen wollen. Bedroht vom Rotstift ist auch das Smithsonian Institute mit seinen zwölf Museen, das jährlich über 300 Millionen Dollar aus Bundesmitteln erhält.

Ausgeburten der liberalen Ära

Nun sind gerade die NEA und die CPB harte Attacken aus der konservativen Ecke gewöhnt. In den letzten Jahren war erstere unter anderem ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, weil mit NEA-Mitteln „pornographische“ Ausstellungen des Photographen Robert Mapplethorpe finanziert worden waren. Dem öffentlichen Rundfunk drohte immer dann der Zorn konservativer Politiker, wenn Sendungen Reizthemen wie Homosexualität hatten oder die Rolle der amerikanischen Außenpolitik in Zentralamerika kritisch beleuchtet wurde.

Doch bis zum letzten November garantierten die Mehrheitsverhältnisse im Kongreß immer, daß die Attacken der Republikaner entweder pariert oder zumindest abgewehrt wurden. Zudem konnte CPB seine Kompatibilität mit dem amerikanischen Wertesystem immer wieder durch den Verweis auf den Erfolgshit „Sesamstraße“ herstellen, während die NEA geltend machte, daß weit mehr ihrer Gelder für Lesungen von „Cowboy- Poesie“ als für die Präsentation Mapplethorpescher Nacktphotos ausgegeben wurden.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es geht hier keineswegs um Unsummen von Steuergeldern für die amerikanische Kulturpolitik. Im Gegenteil: Anhänger und Verteidiger der NEA rechnen immer wieder vor, daß der Kongreß jährlich mehr für die Ausrüstung und Pflege amerikanischer Militärkapellen ausgibt als für die Förderung ziviler Künste. 177 Millionen Dollar wurden für das Haushaltsjahr 1995 für die NEH, 168 Millionen Dollar für die NEA und 285 Millionen Dollar für CPB veranschlagt. Damit allein läßt sich weder eine nationale Kulturpolitik finanzieren noch öffentliches Fernsehen machen. Hauptaufgabe der Institutionen ist es deshalb, als „Türöffner“ aufzutreten und private Sponsoren für förderungswürdige Projekte heranzuziehen.

„Intellektuell und moralisch korrupt“

Folglich ist das Argument mancher Republikaner, wonach es bei den Spar- oder Streichungsvorschlägen lediglich um einen weiteren Schritt zur Bekämpfung des Defizits gehe, ein schwacher Versuch, politische Motive zu kaschieren. Vielmehr geht es um genau jenen Konflikt, der zuletzt im Streit um die Ausstellung zum Atombombenabwurf sichtbar wurde: Wie und von wem darf in dieser Zeit amerikanische Geschichte und Kultur ausgestellt, gelehrt und gelernt werden?

Einige Subventionsgegner wollten die Kritik der NEH ganz ohne ideologischen Hintergedanken verstanden wissen: Man sei generell gegen staatliche Kunst- und Kulturförderung. Berühmte Maler wie Matisse oder Toulouse-Lautrec hätten schließlich auch ohne staatliche Unterstützung Großes auf die Leinwand gebracht. Doch im nächsten Moment legte William Bennett, Ex-Erziehungsminister und Ex-NEH-Vorsitzender unter Reagan und Bush, philosophischer Guru der neuen Rechten und einer der radikalsten Gegner der beiden Stiftungen, die Karten ganz offen auf den Tisch. Beide Institutionen hätten sich in den letzten Jahren immer weiter von „akzeptierten Standards“ der Kunst und Kultur entfernt und seien deshalb „intellektuell und moralisch korrupt“. John Ashcroft, republikanischer Senator aus Montana und als solcher potentieller Nutznießer staatlich geförderter Cowboy-Poesie, trug seine Sicht der Dinge und der Kunst bei: „Wenn die Definition von Kunst beinhaltet, daß sie in Frage stellen und offensiv sein muß, dann halte ich die Position (der NEA) ernsthaft für gefährdet.“ Die Beratungen gehen weiter. Die NEA und NEH mobilisieren wieder einmal – nicht nur für eine „offensive“ Definition von Kunst und Kulturpolitik, sondern auch fürs eigene Überleben.