Im Reich der Todesschwadronen

In Burundi betreiben Milizen von Hutu wie Tutsi die gewaltsame Separation der Bevölkerung und träumen vom ethnisch „reinen“ Staat  ■ Aus Bujumbura François Misser

Es ist eine Nacht wie jede andere in Burundi. Eine Ausgangssperre ist verhängt. Irgendwo in der Ferne rattern automatische Gewehre. Und in den Villen von Kiriri, dem exklusivsten Viertel der burundischen Hauptstadt Bujumbura, löst der Waffenlärm nicht den geringsten Alarm aus. In Kiriri wohnt die traditionelle Elite der burundischen Politik – zumeist Tutsi, die bis zu den Präsidentschaftswahlen vom Juli 1993 eindeutig über Burundi herrschten. In „ihrem“ Viertel haben sie nichts zu befürchten.

Das Stadtviertel Kamenge ist zu Kiriri der schroffe Gegensatz. Es ist ein belebtes Volksviertel, und hier leben Hutu. Die lange unterdrückte Mehrheit sieht sich seit Oktober 1993 um die Macht betrogen: Damals wurde der erste Hutu- Präsident des Landes, der im Juli 1993 gewählte Melchior Ndadaye, bei einem Putschversuch der Armee ermordet. In Kamenge wird heute eine Sprache gepflegt, die man im benachbarten Ruanda von den für den Völkermord verantwortlichen Hutu-Milizen kennt.

„Die Uprona hat den Krieg begonnen, als sie (im Oktober 1993) den Präsidenten umbrachte“, schreit mit heiserer Stimme ein 25jähriger Mann mit Pistole an der Hüfte. „In diesem Krieg müssen die Tutsi sterben!“ Der junge Mann nennt sich „Major Savimbi“, nach dem berüchtigten angolanischen Guerillaführer. Er stellt sich als Führer der „Kräfte zur Verteidigung der Demokratie“ (FOD) vor – eine Hutu-Miliz, die in der Landessprache „Intagohekas“ heißt, auf deutsch „die, die nie schlafen“. Es ist der bewaffnete Arm des „Nationalen Rates zur Verteidigung der Demokratie“ (CNOD), der radikalsten Hutu- Bewegung Burundis, die aus dem Exil in Zaire vom einstigen burundischen Innenminister Leonard Nyangoma geleitet wird. Der wiederum trat aus der Regierungspartei „Frodebu“ aus, weil sie ihm zu sehr auf den Kompromiß mit den Tutsi bedacht ist.

„Illegal“, so der Milizenführer, sei die Regierung Burundis, die im vergangenen September als Koalition zwischen der Hutu-Partei Frodebu, der Tutsi-Partei Uprona und ihren jeweiligen Satellitenorganisationen gebildet wurde. „Die Hutu müssen massenhaft in die Armee eintreten“, erklärt Major Savimbi. „Sonst werden wir unsere Angriffe verstärken.“ Er freut sich schon auf den Sieg über die Tutsi: „Irgendwann werden nur noch ein paar Militärs übrigsein. Alle Zivilisten werden ausgelöscht, wenn sie so weitermachen.“ Und er macht eine eindeutige Handbewegung vor seinem Hals.

Dies sind keine leeren Drohungen. Am 18. Dezember wurden im Tutsi-Stadtviertel Musaga zwölf Menschen brutal ermordet: Einem wurde das Herz herausgerissen, anderen der Kopf abgeschlagen. Danach schlugen bewaffnete Tutsi-Banden zurück – überall im Stadtzentrum lagen Leichen, bis am 22. Dezember eine Ausgangssperre verhängt wurde. Seitdem gibt es weniger Tote, aber genausoviel Haß, und die Fertigkeiten der Milizen wachsen. Am 23. Januar griffen 40 Mitglieder „Intagohakas“ ein Militärkrankenhaus an, bekleidet mit Polizeiuniformen. Die von Tutsi dominierte Armee beschuldigt Mitglieder der Regierungspartei Frodebu, die Uniformen „ausgeliehen“ zu haben.

In „ihrem“ Viertel Kamenge hat die Hutu-Miliz genausowenig zu befürchten wie in Kiriri die Villenbewohner. Selbst die Artillerieangriffe, mit denen die von Tutsi dominierte burundische Armee Kamenge zuweilen belegt, ändern daran nichts. Um hineinzukommen, passiert man eine Straßensperre. Auch ein eigenes Gefängnis hat dieser Staat im Staate. Und sogar, glaubt man der Regierung Burundis, eine eigene Außenpolitik: Außenminister Jean-Marie Ngendahayo erzählt, Funktionäre der Christlich-Demokratischen Internationale hätten dem Staatschef Sylvestre Ntibantunganya die Meriten des CNOD-Führers Nyangoma dargelegt – allerdings ohne Erfolg.

Nyangoma, der politische Führer der Hutu-Milizen, hat dem Diktator Zaires, Mobutu, brieflich die Aufstellung einer Armee aus 30.000 Mann angekündigt. „Die CNOD kümmert sich nur um Finanzen und Logistik“, erklärt dennoch in Kamenge Major Savimbi. „Wir können auch unabhängig agieren“. Sein Selbstbewußtsein ist begründet. Seit die Uprona mit immer neuen politischen Forderungen immer neue politische Erfolge innerhalb des Staatsapparates erringt, wie zum Beispiel die Entlassung des ordnungsgemäß gewählten Hutu-Parlamentspräsidenten Jean Minani von der Frodebu, laufen immer mehr Aktivisten der Hutu-Partei zu den Milizen über.

Wer seine Hände auf Waffen legen kann, tut es

Die „Intagohakas“ sind beileibe nicht die einzige Privatarmee in Burundi. Auf Tutsi-Seite gibt es Banden mit schillernden Namen wie „Ohne Fehl“, „Ohne Niederlage“ oder gar „Ohne Kondom“. Einst waren sie einfache Straßengangs. Dann warb die Uprona-Jugendorganisation sie für den Wahlkampf von 1993 an; nach dem Präsidentenmord und der nachfolgenden Gewalt setzten die Tutsi- Mächtigen sie bei ihren Aktionstagen als Milizen ein. Inzwischen sind sie zu richtigen Todesschwadronen angewachsen. Ende Januar brannten sie 80 Bauernhäuser am Rande der Hauptstadt ab, als „Rache“ für den Milizenangriff auf das Militärkrankenhaus.

Burundi ist ein Land der Angst. Wer seine Hände auf Waffen legen kann, tut es. Auf dem Lande ist die Lage noch schlimmer als in der Hauptstadt: So explodierte in Murara am 15. Januar eine Granate während eines Kirchengottesdienstes und produzierte Tote und dreißig Verletzte. Im Süden des Landes ist es mehrmals zu Granatenexplosionen in Schulräumen gekommen. „Intagohakas“ greifen regelmäßig Lager von Tutsi- Flüchtlingen an, und jedesmal tun sich die Tutsi danach mit Soldaten zu blutigen Rachefeldzüge gegen Hutu zusammen. Daß die Lage in Burundi von 47 Offizieren im Auftrag der „Organisation für Afrikanische Einheit“ (OAU) überwacht wird, ist ein Witz: Am 12. Januar wurde der Direktor des Hotels, in dem die OAU-Beobachter wohnen, kaltblütig erschossen.

Die Medien des Landes – die Regierungszeitung Le Renouveau vielleicht ausgenommen – heizen den Haß an: Der Kommentator des Blattes Le Carrefour des Idées, Juvenal Madirisha, hat demjenigen eine Belohnung versprochen, der ihm auf einer Speerspitze Nyangomas Kopf liefert. Die extremistische Hutu-Zeitung Le Témoin karikiert in bestem ruandischen Milizenstil Tutsi als Hunde. Manchmal geraten die Milizen außer Kontrolle: „Intagohakas“ haben schon mal Frodebu-Parlamentarier ausgeraubt, Tutsi gestehen offen ihre Angst vor den „Ohne Fehl“-Banden, die in dem von ihnen „gesäuberten“ Stadtviertel Ngarara in Bars auf ihren nächsten Einsatz warten.

Jede Seite beschuldigt die Regierung, gegenüber den Greueltaten der anderen Seite passiv zu bleiben. Neben dem tiefen Graben, der die beiden ethnischen Gemeinschaften des Landes trennt, wächst somit auch ein allgemeines Mißtrauen gegen die burundischen Politiker, die man gerne ventriotes nennt, eine Verballhornung von patriotes – also eher am Wohl des eigenen Bauches als an dem des Landes hängend. Die Stabilität der Regierung, der ja Hutu wie Tutsi angehören, hängt unter diesen Umständen natürlich am seidenen Faden. Beide Parteien, Uprona und Frodebu, sind zwischen Anhängern und Gegnern einer Zusammenarbeit gespalten. Während Anatole Kanyenkiko für die Uprona das Amt des Premierministers einnimmt, demonstrieren Uprona-Anhänger unter Parteichef Charles Mukasi für seinen Rücktritt.

„Die ganze politische Klasse ist an den Morden beteiligt“, erklärt Ex-Präsident Jean-Baptiste Bagaza. „Sie verlängern die Krise absichtlich, um Nachforschungen und Aufklärungen zu verhindern.“ Der von 1976 bis 1987 herrschende ehemalige Staatschef Burundis, ein Tutsi, wartet zurückgezogen in Kiriri auf seine Stunde: Die Tutsi, hofft er, werden mehr und mehr Nostalgie für die alten Zeiten der unbeschränkten Tutsi-Diktatur entwickeln. Bagaza hat inzwischen eine eigene Partei gegründet – die „Partei für die Nationale Wiederaufrichtung“ (Parena) – und rechnet mit Unterstützung durch solche Tutsi, die nach Oktober 1993 von ihren Hutu-Nachbarn vertrieben wurden und sich in Lagern versammelt haben, wie in Ngarara, einem Viertel Bujumburas, aus dem wiederum Hutu vertrieben worden sind.

„Ich habe gedroht, eine Armee aufzustellen“, erklärt Bagaza und fährt fort: „Ich habe gesagt: Wenn ihr (die Frodebu) so weitermacht, werde ich euch das Gewaltmonopol streitig machen.“ Als ob irgend jemand in Burundi ein Gewaltmonopol innehätte. Bagaza trifft sich oft mit anderen pensionierten Militärs und droht öffentlich „dieser Regierung, die die Probleme des Landes nicht lösen wollen“.

Seine Aktivitäten ziehen Kreise. Einer der eifrigsten Anhänger Bagazas ist ein Dominikanerpater namens Deo Niyonzima. Er soll unter dem Namen „Jugendsolidarität zur Verteidigung der Minderheitenrechte“ einen Tutsi- Milizenbund aufgebaut haben, den er selbst als Wohlfahrtsverein geistiger Zielsetzung darstellt. Dann sagt er noch: „Das Volk wird sich selbst verteidigen. Keine Polizei wird die Energien derjenigen zügeln können, die sich physisch bedroht sehen.“

Unter diesen Vorzeichen ist es schwer, an eine politische Lösung des Konflikts in Burundi zu glauben. „Wenn Frodebu und Uprona ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, sondern sich weiter gegenseitig aufreiben, werden sie bald keine Rolle mehr spielen“, meint ein politischer Beobachter, der dem 1993 abgewählten Ex-Präsidenten Buyoya nahesteht. „Dann werden Nyangoma und Bagaza sich gegenüberstehen – und das Land unter sich aufteilen. Und bis dahin wird viel Blut fließen.“