Wir wollen nicht in Reservaten leben

■ Hase Tirić (27), Kommandeur der Elitetruppe der „Schwarzen Schwäne“, über die Errichtung eines islamischen Staates in Bosnien

taz: Wer oder was sind die „Schwarzen Schwäne“?

Hase Tirić: Einige Monate vor dem Krieg wurde diese Einheit gegründet. Wir spürten damals, daß es zu einer Aggression gegen unser Land kommen würde. Schon zu Beginn des Krieges wurde dann unser Kommandeur, der den Kriegsnamen Schwan trug, getötet. Seidem nennen wir uns die „Schwarzen Schwäne“, schwarz deshalb, weil schwarze Schwäne seltene Tiere sind. Unsere Erfolge beruhen auf unserer Disziplin. Jeder unserer Soldaten wurde mindestens schon zweimal verwundet. In der Befehlsstruktur sind wir direkt dem Obersten Kommando unterstellt. Wir sind eine Spezialeinheit.

Wie wird man denn zum Schwarzen Schwan?

Wir nehmen nur junge Leute unter 21 Jahren. Die müssen sich an bestimmte Regeln halten. Alkohol wird hier nicht getrunken, Frauen sind nicht erwünscht.

Könnte ein Katholik oder ein Orthodoxer in der Einheit sein?

Theoretisch ja, praktisch fast nicht. Es gibt allerdings einen Katholiken, einen Kroaten, unter uns.

Kämpfen Sie für einen bosnischen oder für einen muslimischen Staat?

Antwort oder Gegenfrage: Was ist der Unterschied?

Bosnien-Herzegowina repräsentiert das Zusammenleben von drei Nationen. Ein Muslim-Staat wäre ein Gebilde ohne Kroaten und Serben.

Für uns ist wichtig, daß der Staat unserer muslimischen Nation Freiheit und Schutz gibt. Es geht nicht um den Namen des Staates, sondern wie das Leben im Staate konstituiert ist. Wollte man einen islamischen Staat, bräuchte man die Leute, die dahinterstehen. Die Muslime Bosniens wollen keinen islamischen Staat. Im Islam ist Alkohol verboten, aber die Muslime Bosniens trinken Alkohol an jeder Ecke, die überwiegende Mehrheit hält sich nicht an die religiösen Regeln. Das ist hier so wie bei anderen Europäern auch. Ich kämpfe persönlich nicht für einen islamischen Staat, obwohl ich ein Muslim bin und damit auch das Recht hätte, für einen islamischen Staat zu kämpfen. Wofür ich letztlich kämpfe, ist das Recht meines Volkes, in der Lage zu sein, überhaupt zu überleben.

Es scheinen sich zwei Konzepte für Bosniens Zukunft herauszukristallisieren. Immer noch wollen viele Menschen hier einen multikulturellen Staat. Serbische und kroatische Nationalisten jedoch wollen Bosnien unter sich aufteilen. So müßte doch in Bosnien die Erkenntnis wachsen, daß man sich unter diesen Umständen mit einem verkleinerten Bosnien zufriedengeben sollte. Die Alternative wäre ja der Rückeroberungskrieg.

Es ist besser, frei zu sterben, als unfrei zu leben. Ich werde bis an das Ende für die Freiheit meines Volkes und sein Überleben kämpfen. Die Größe des dafür notwendigen Staates ist dabei eine sekundäre Frage. Ich möchte auch keinen Staat, in dem mein Volk gezwungen ist, in Reservaten zu leben. [Anmerkung der Red: Er meint damit die Enklaven Bihać, Srebrenica, Goražde, Žepa und Sarajevo.]

Wäre es möglich, ganz Bosnien militärisch zurückzuerobern? Und wer würde den Muslimen dabei helfen?

Die kroatisch-bosnische HVO ist sicher keine Hilfe. Sie stößt uns das Messer in den Rücken. Sie ist dabei, die gemeinsame Föderation zu zerstören, die ja erst seit knapp einem Jahr besteht. Die neuen Spannungen werden von der kroatischen Seite produziert. Sie haben schon 1993 gegen uns den Krieg verloren; käme es zu einer erneuten Auseinandersetzung, würden wir sie jetzt jedoch total besiegen.

Und wie groß ist die Unterstützung durch die islamischen Länder?

Die sind so weit weg von hier. Wir waren während der ganzen drei Jahre des Krieges allein. Und wir verlassen uns nur auf unsere eigene Kraft. Ich glaube aber daran, daß Allah uns nicht verlassen hat. Das Gespräch führte

Erich Rathfelder