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„Klandestin operierende kleine Zellen“

■ Die Bombenattentate der letzten zwei Jahre zeigen, daß in Österreich ein technisch versierter Rechtsterrorismus am Werk ist. Die Behörden sind bisher hilflos

Im Juli 1993 hatte Östereichs Innenminister Franz Löschnak noch Entwarnung gegeben. Soeben war der Neonazi Günther Reinthaler, Aktivist der militanten „Volkstreuen Außerparlamentarischen Aktion“ (VAPO), zu vier Jahren Haft wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verurteilt worden. VAPO-Chef Gottfried Küssel saß bereits eine zehnjährige Haftstrafe ab, die Auschwitz-Leugner und rassistischen Hetzer Gerd Honsik und Walter Ochensberger waren in Spanien untergetaucht. „Die Identifikationsfiguren sind unter Kontrolle“, stellte Löschnak zufrieden fest, zudem sei die rechtsextreme Szene in Österreich „nicht sehr groß“.

Spätestens nach der ersten Serie von zehn Briefbomben im Dezember 1993 wußte Löschnak, zu welcher Militanz die Alpen-Neonazis fähig sind. Nach den letzten beiden Bombenattentaten in Oberwart und Stinatz müssen nun die Behörden aufgrund der im Tatumfeld aufgefundenen „Bekennerschreiben“ davon ausgehen, daß die beiden Briefbombenserien im Dezember 1993 und im Oktober letzten Jahres, die Rohrbombe in Klagenfurt im August 1994 sowie die beiden jüngsten Sprengsätze im Zusammenhang zu sehen sind.

Am 3. Dezember 1993 explodierte im Österreichischen Rundfunk die erste Briefbombe. Innerhalb von nur drei Tagen tauchten neun weitere Bomben auf. Als prominentestes Opfer traf es den Wiener Bürgermeister Helmut Zink, dessen linke Hand verstümmelt wurde. Als Absender firmierte jeweils ein „Graf Rüdiger von Starhemberg“.

Im Verlauf der Ermittlungen wurde der Wiener VAPO-Aktivist Peter Binder auf dem Weg von Tschechien nach Berlin festgenommen. Im Kofferraum fand man bei dem 26jährigen Elektroingenieur Gewehre, Pistolen und Substanzen zur Nitroglycerin-Herstellung sowie ein Adreßbuch, das Namen und Adressen bundesdeutscher Neonazis enthielt. Wenig später wurde VAPO-Aktivist Franz Radl jun. festgenommen.

Im November 1993 hatte Radl in einer rechten deutschen Postille seine Kameraden aufgefordert, „10 Briefe für 10 Jahre Küsselhaft“ zu verschicken. Gottfried Küssel, Chef der 1985 gegründeten VAPO, war bereits im Januar 1992 festgenommen worden. Für Anfang Dezember 1993 riefen seine Gesinnungsfreunde zu einer „Solidaritätswoche“ mit „verschärften Aktionen“ auf. Die zehn Briefbomben wurden losgeschickt.

Mit der Verhaftung von Binder und Radl glaubte die Polizei, die Hauptdrahtzieher der Bombenserie gefunden zu haben. Spuren nach Deutschland, insbesondere zu Arnulf Priem, Bendix Wendt und Ekkehard Weil in Berlin, wurden nicht weiter verfolgt. Doch der Bombenterrorismus der Rechten nahm kein Ende. Als ein Polizist im August 1994 am Flughafen Klagenfurt ein verdächtiges Rohr im Röntgenapparat untersuchen wollte, exlodierte es und riß dem Beamten die Arme weg. Das Rohr war einen Tag zuvor an der Mauer einer zweisprachigen Schule in Klagenfurt deponiert worden. „Rotlichtmilieu“, urteilten die Ermittler – bis das Bekennerschreiben einer „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ (BBA) eintraf.

Im Oktober tauchten dann erneut vier Briefbomben in Österreich auf. Alle vier Bomben konnten rechtzeitig entdeckt werden. Absender auch diesmal: „Graf Starhemberg“ und die „Bajuwarische Befreiungsarmee“. Nach dem Bombenanschlag in Stinatz nun ein neues „Bekennerschreiben“: Wieder unterzeichnen die „Bajuwarische Befreiungsarmee“ sowie „Friedrich II der Streitbare, Herzog von Österreich, Steiermark und vier Burgenland“.

In beiden Schreiben wird der Name Stoisits genannt. Therezija Stoisits, Minderheitssprecherin der Grünen, war bereits bei der ersten Briefbombenserie unter den Opfern. Auch die historischen Bezüge stimmen. Während Graf Starhemberg 1683 Wien gegen die Türken verteidigte, kämpfte Friedrich II. gegen die Mongolen.

In der Umgebung von Stinatz und Oberwart sind rechtsextreme Aktivitäten nicht unbekannt. Seit Jahren heizt der „Burgenländische Kulturverband“ um Hans Strobl die Stimmung auf. Zu seinen Veranstaltungen lud er unter anderen Günther Deckert ein. An der „Höheren Technischen Lehranstalt“ in Oberschützen und Pinkafeld, nur wenige Kilometer von Oberwart und Stinatz entfernt, sind rechte Burschenschaften aktiv, u.a. die „Marco Germania“.

Wie gut die Beziehungen vom burschenschaftlichen Bereich zum Rechtsterrorismus in Österreich sind, bewies der „Gesamttiroler Freiheitskommers“ im Oktober letzten Jahres in Innsbruck, veranstaltet von der Innsbrucker Burschenschaft „Brixia“ und dem „Wiener Korporationsring“. Als dessen Sprecher fungierte bis Ende 1992 Franz Radl jun., bei den „Alten Herren“ der „Brixia“ sitzen mit Peter Kienesberger, Rudolf Watschinger und Herwig Nachtmann gleich drei Herren mit Sprengstofferfahrung. Alle drei waren an Sprengstoffattentaten in Südtirol beteiligt.

Wilhelm Lasek vom „Dokumentationszentrum des Österreichischen Widerstands“ in Wien vermutet hinter dem Rechtsterror „Einzelpersonen mit unbändigem Haß gegen Volksgruppen“ oder „klandestin operierende kleine Zellen“ aus ehemaligen VAPO- Aktivisten. Ende 1993 hatte Franz Radl jun. dem Wiener Standard offenherzig erzählt: „Es müssen unbedingt geheime Kader herausgebildet werden. Wir müssen uns langsam, aber sicher daran gewöhnen, in militärischen und geheimdienstlichen Begriffen zu denken.“ Bernd Siegler

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