: Die österreichischen Behörden brauchten ziemlich lange, bis sie eingestanden, daß die vier am Sonntag getöteten Roma einem rechtsextremen Attentat zum Opfer fielen. Ein Unfall wäre ihnen lieber gewesen. Aus Oberwart im Burgenland Michaela Schießl
Die Polizei suchte zuerst bei den Opfern
Montag nacht, als die meisten Trauernden längst gegangen waren, stand ein Mann mutterseelenallein auf dem matschigen Feldweg. Er starrte auf die niedergebrannten Teelichter, auf die flackernden Grableuchten und wollte immer noch nicht recht glauben, daß dieser Ort das Letzte gewesen war, was sein großer Bruder gesehen hatte. Genau hier, mitten auf dem unbeleuchteten Feldweg, war die Bombe gestanden, die Peter Sarközi (27) und dessen Freunde Erwin Horvath (18), Karl Horvath (22) und den 40jährigen Josef Simon zerriß. Eine Falle für die Roma, sorgfältig ausgetüftelt und akribisch aufgebaut.
Die Mörder hatten nichts dem Zufall überlassen. Eine Woche vor dem Attentat in der Nacht zum Sonntag wurden die Roma der burgenländischen Bezirksstadt Oberwart mit Drohanrufen belästigt: „Wir bringen euch um.“ Die 150 Bewohner der Siedlung wurden wachsamer. Immerhin leben sie recht abgeschieden etwas außerhalb der 6.000 Einwohner zählenden Gemeinde. Am Abend des Attentats bemerkten sie einen Wagen, der langsam und ohne Licht an der Siedlung vorbeifuhr.
Die Angehörigen nehmen an, daß die vier Opfer das Auto gesehen haben und nachsehen wollten, wer sich dort rumtreibt. Wenige hundert Meter von der Siedlung entfernt stießen sie auf ein ein Meter hohes Schild, das mitten auf der Straße stand. Die Aufschrift: „Roma zurück nach Indien“. Es sah aus wie ein Grabstein, aber die vier Männer wurden nicht stutzig. Offenbar stellten sie sich um das Ärgernis herum und sahen sich die Sache an: ein mit Gips gefüllter Plastikbehälter, darin ein Metallrohr, auf das das Schild gesteckt war. Als sich einer bückte und das Schild berührte, detonierte die Bombe. Sie war im oberen Teil des Metallrohrs angebracht und zerfetzte den Männern Oberkörper und Kopf.
„In der Siedlung haben wir die Detonation gehört, ich bin rausgelaufen, aber wir konnten nicht feststellen, woher der Krach kam.“ Erst am Sonntag morgen gegen acht wurden die Leichen entdeckt. 15 Kinder sind nun ohne Vater.
Wenige Stunden später fand sich das Sonderkommando für Terrorismusbekämpfung aus Wien ein. Ihre erste Tat: Hausdurchsuchung in der Roma-Siedlung. „Die wollten sofort einen Unfall daraus machen. Die glaubten, wir hätten selbst versucht, das Schild zu sprengen“, sagt Emmerich Gärtner-Hovath vom „Verein Roma“. „So ein Blödsinn – das hätte man doch einfach wegwerfen können.“ Erst als die Unfallvariante völlig unhaltbar wurde, sprach Innenminister Franz Löschnak von einem Mordanschlag, und seither verkünden Österreichs Offizielle unisono mit Kanzler Franz Vranitzky „Ekel und Abscheu“ über die grausame Tat.
Zur offiziellen Mahnwache am „Denkmal für die Oberwarter Opfer des Nationalsozialismus“ kamen trotz der Bestürzung am Montag nur wenige hundert Menschen. „Sie müssen verstehen, so ganz grün sind sich die Roma und die anderen nicht. Auch sind sie erst 1993 offiziell als Minderheit anerkannt worden. Aber hier in Oberwart gab es höchstens Spannungen, niemals Feindseligkeiten“, versichert der ÖVP-Bürgermeister Michael Racz. Natürlich, die Bürger von Oberwart sind ehrlich entsetzt. Und doch haben sie es eilig, die Spuren der Mahnwache zu beseitigen. Gestern morgen waren die Kerzen und Grablichter entfernt worden, nur ein Kranz, ein Blumenstrauß und die Brandflecken auf dem Rasen mahnen noch. Zehn Meter weiter hinten, am Kriegerdenkmal für die Gefallenen der Weltkriege, schimmeln seit drei Monaten fünfzig pompöse Kränze vor sich hin.
Die Roma sind keine Fremden in Oberwart. Sie leben seit über 400 Jahren dort, nach der Zwangsansiedelung. In der Stadtbroschüre liest sich das so: „Stichwort Toleranz: Graf Christoph Battyany gestattete 1674 einem Roma-Stamm (besser bekannt unter Zigeuner), sich am Ortsrand von Oberwart niederzulassen.“ Beim Stichwort „Vielfalt“ sucht man die Roma vergebens, hier werden die Ungarn und Kroaten genannt.
Die Vorurteile gegen die Roma bleiben hartnäckig erhalten. Bis vor kurzem wurden Roma-Kinder aufgrund ihrer Herkunft automatisch in die Sonderschule eingewiesen. Erst als Ende der achtziger Jahre wegen einer Kneipenrauferei generelles Lokalverbot für Roma in Oberwart ausgesprochen wurde, wehrten sie sich.
Sie gründeten 1989 den Verein Roma, der sich seither um die Lebenssituation der Minderheit kümmert. Das Attentat hat auch den Verein aufgerüttelt: „Wir werden jetzt nicht mehr schweigen. Wir werden auf demokratische Weise Druck ausüben auf das Innenministerium, Druck auf die Exekutive. Sie müssen die Mörder finden“, sagt Geschäftsführer Gärtner-Hovath. Von Haß oder Rache will er nichts hören. „Wir begeben uns nicht auf das Niveau unserer Angreifer herab. Roma, das heißt Mensch.“
In der Siedlung hört man schon mal andere Töne. Dort würde man die „Nazis“ am liebsten in Scheiben schneiden, und manch einer denkt daran, sich zu bewaffnen. „Man sieht doch, was passiert ist nach den Briefbomben im vergangenen Jahr und der Paketbombe von Klagenfurt – nichts. Die Polizei hat nicht einmal die Bevölkerung zur Mithilfe aufgefordert“, klagt Gärtner-Hovarth.
Doch spätestens nach dem Anschlag in der 1.500-Seelen-Gemeinde Stinatz, elf Kilometer von Oberwart entfernt, wird das Innenministerium aufmerken müssen. Dort, wo eine kroatische Minderheit wohnt, detonierte einen Tag nach Oberwart eine Bombe und zerfetzte einem kroatischen Müllarbeiter die Hand. Ein Bekennerschreiben wurde gefunden, in dem allen Kroaten der Tod angedroht wird. Unterschrieben: „Bajuwarische Befreiungsarmee“. Eben diese Gruppe hatte sich im vergangenen Jahr zu den Briefbombenserien im vergangenen Herbst bekannt.
Nun fürchtet sich Österreich vor einer Terrorwelle von rechts.
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