„Richtungskampf“ entschieden

■ Berliner Behindertenverband wird sozialpolitischer

Der Berliner Behindertenverband (BBV), der vor fünf Jahren in Ostberlin gegründet wurde, will sich in Zukunft wieder stärker als sozialpolitische Interessenvertretung der Behinderten engagieren. Dieser Teil der Verbandsarbeit sei in den letzten Jahren „vernachlässigt“ worden, erklärte gestern das Vorstandsmitglied Martin Marquardt.

Innerhalb des Verbandes, der zugleich Arbeitgeber von 271 Beschäftigen in 30 ABM-Projekten ist, hatte es in den letzten Monaten einen „Richtungskampf“ gegeben. Im Kern ging es um die Frage, wie kritisch der Verband als Interessenvertretung gegenüber dem Senat auftreten kann, der zugleich Geldgeber für die ABM-Projekte ist.

Der Vorsitzende Bernd Wünsch, der am Wochenende nach massiver Kritik an seiner Amtsführung zurückgetreten ist, hatte eine äußerst moderate Linie vertreten. Der BBV hatte im Sommer vergangenen Jahres einen Protestaufruf mehrerer Behindertengruppierungen zum Erhalt des Berliner Pflegegeldes nicht unterstützt, was dort zu Irritationen geführt hatte.

Für erhebliche Empörung unter den Mitgliedern sorgte nun ein Brief, in dem sich Wünsch beim Lichtenberger Bezirksbürgermeister Gottfried Much für ein Schreiben der Lichtenberger Basisgruppe des BBV entschuldigt hatte. Die Basisgruppe hatte – auf dem Briefpapier des BBV-Vorsitzenden – kritisiert, daß das Sozialamt wegen acht Stufen für Behinderte unzugänglich sei, und eine sofortige Behebung der „unzumutbaren Zustände“ gefordert. Wünsch warf der Basisgruppe „Holzhammermethoden“ vor. Eine „konstruktive Zusammenarbeit“ mit den Behörden sei erfolgversprechender, als „draufzuhauen“. Die Gruppe hätte ihre Initiative außerdem mit dem Vorstand absprechen müssen.

Wünsch, der als Jurist beim Verband angestellt ist, hatte als Quasi- Geschäftsführer die zahlreichen ABM-Projekte gemanagt. Wie Vorstandsmitglied Marquardt erklärte, habe Wünsch die Forderung vieler Mitglieder nach einer stärkeren Interessenvertretung als „Kriegserklärung“ verstanden. Er habe den Vertretern dieser Richtung unterstellt, bei einer zu starken politischen Ausrichtung des Verbandes die 271 Arbeitsplätze zu gefährden. Marquardt hat dagegen „die Erfahrung gemacht, daß man von Politikern nur ernst genommen wird, wenn man ein streitbarer Gesprächspartner ist“.

Der Vorstand strebt jetzt eine klare organisatorische Trennung von ABM-Projekten und Interessenvertretung an. Ein Geschäftsführer soll das Management der ABM-Projekte übernehmen. Dorothee Winden