■ Close und Streisand machen einen TV-Film über Lesben: Militär, Kuß und Fernsehen
New York (taz) – Letzte Woche stand die gesamte US-Nation Kopf. Küssen sie sich nun oder nicht, war die große Frage. Dabei hatten sich Margarethe Cammermeyer und Diane Divelbess schon vor Jahren geküßt, und zwar mehr als einmal. Anfang der neunziger Jahre hatte ihre lesbische Liebesbeziehung in den USA für jede Menge Aufsehen gesorgt. Damals nämlich war Colonel Margarethe Cammermeyer nach 23 Dienstjahren unehrenhaft aus dem US-Militär entlassen worden, weil sie sich bei einer Sicherheitsüberprüfung offen zu ihrer Homosexualität bekannt hatte.
Die Militärführung hielt die hochdekorierte Vietnamveteranin und angehende Chefschwester der Washingtoner National Garde aufgrund ihrer sexuellen Vorliebe plötzlich für ein Sicherheitsrisiko. Col. Cammermeyer klagte erfolgreich gegen die Entscheidung. Im letzten Jahr durfte sie ihre Uniform wieder anziehen. Allerdings nicht für lange. Kommenden September wird die 52jährige Soldatin in den vorzeitigen Ruhestand treten, um weiteres juristisches Tauziehen zu vermeiden. Die Clinton- Administration hatte nämlich gegen das Bundesgerichtsurteil Widerspruch eingelegt.
So weit, so gut – oder besser, so schlecht. Frau Cammermeyer hatte ihr folgenschweres Coming- out, die Gay-Rights-Bewegung ihre Heldin und das Militär am Ende doch gesiegt. Eigentlich könnten sich die Amerikaner nun wieder wichtigeren Dingen zuwenden, zum Beispiel dem Fortgang des O.J.-Prozesses oder den Schneeräumwettkämpfen in New Jersey. Doch nein, ein paar renitente Frauen mußten den Cammermeyer-Fall unbedingt noch mal ins Fernsehen bringen. Die Stars Barbra Streisand und Glenn Close haben gemeinsam mit drei weiteren Produzenten die Geschichte in einen TV-Movie verwandelt, der am letzten Montag zur Prime time von NBC ausgestrahlt wurde.
Glenn Close spielt die Titelrolle in „Serving in Silence: The Margarethe Cammermeyer Story“ (zu deutsch: Im stillen dienen), die australische Schauspielerin Judy Davis („A Passage to India“, „Barton Fink“) ihre Künstlerfreundin Diane. Für deutsche TV-Zuschauer, die sich längst an eine lesbische „Tatort“-Kommissarin gewöhnt haben, eigentlich keine große Affäre. Doch im US-Fernsehen darf sich zwar ausgiebig geprügelt und erschossen werden, explizite Homosexualität ist jedoch immer noch ein Tabu. So war es denn auch kein Wunder, daß Howard L. Hurwitz, der Vorsitzende des Bundes zum Schutz der Familie (Family Defense Council), schon vor der Ausstrahlung Protest anmeldete. Ihm war zu Ohren gekommen, daß in dem Film tatsächlich ein lesbischer Kuß vorkommt, und das empfindet er als familiengefährdende „Werbung für Homosexualität“.
In Anbetracht weiterer Proteste von konservativen Familienschützern beeilte sich NBC-Vizepräsidentin Rosalyn Weinman denn auch zu betonen, daß es in dem Film weniger um lesbische Liebe gehe als vielmehr um „den Kampf einer Frau, ihre Karriere und ihre Familie zusammenzuhalten“. Tatsächlich hatte die NBC-Filmabteilung schon vor Beginn der Produktion die Vermarktungschancen eines Lesben-Themas ausgelotet. Um einem Sendeboykott zu entgehen, lautete die Richtschnur für Drehbuchautorin Alison Cross: kein Sex, kein Zungenkuß, keine zweideutigen Bemerkungen. Statt dessen wurden Frau Cammermeyers Mutterqualitäten in den Vordergrund des Films gerückt. Die geschiedene Militärschwester hat im wirklichen Leben und auch im Film drei halbwüchsige Söhne, die das Coming-out ihrer Mama zwar zunächst skeptisch betrachten, doch als sie feststellen, daß auch eine lesbische Mama kochen und backen kann, halten sie schließlich doch zu ihr.
Nur einmal in dem ganzen Film darf sich das Paar küssen, und dann auch nur ganz verschämt mit der Hand vorm Gesicht. „Wir sind auf einer sehr dünnen Linie entlangbalanciert“, sagt Schauspielerin Glenn Close über die entscheidende Szene. „Im Fernsehen kann man die Sache nur bis dahin pushen und weiter nicht.“ So ist das in Amerika: Al Bundy darf sich hemmungslos am Sack kratzen und frauenfeindliche Witze reißen, ab und zu taucht in den US-Sitcoms auch schon mal ein tuntiger Schwuler als Pausenclown auf. Aber wenn das Fernsehen den realen Fall zweier Lesben nachspielt, in dem es um den Mut geht, die Wahrheit zu sagen, muß es an den entscheidenden Stellen lügen.
Doch die echte Margarethe Cammermeyer ist mit der asexuellen TV-Variante ihres Lebens offenbar recht zufrieden. Auf einem der vielen Pressetermine, die sie mit Barbra Streisand und Glenn Close zur Promotion des Films absolvierte, sagte sie zum Filmergebnis: „Es ist eine Liebesgeschichte – eine Frau, die ihr Land liebt, die ihre Kinder liebt und die eine liebende Beziehung findet.“
Da kann selbst Familienschützer Hurwitz nur anerkennend mit dem Kopf nicken. Denn „Die Cammermeyer-Story“ verführt sowenig zum homosexuellen Lebenswandel wie „Bambi“ zur Großwildjagd. Ute Thon
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen