Liegewiese vor'm Bahnhof

■ Architekten-Wettbewerb für Bremer Bahnhofsvorplatz ist entschieden: Platz für Eilige und für Ruhebedürftige. Gegen Deckel und Betonklotz

Wie fänden Sie das: ein hohes Dach quer über den Bahnhofsvorplatz, von der Post bis zum Überseemuseum, den Bahnhofsfirst noch überragend? Ein Deckel auf all das unübersichtliche Gewimmel von Pommesbuden, Radständern, Haltestellen. Alle Welt würde über Bremen reden! Solch ein Platzdach hat der international renommierte Architekt Ungers vorgeschlagen, hier bekannt als Architekt des Alfred Wegener-Institut. Am Dienstag tagte die Jury für den Bahnhofsplatz, und sie war durchaus fasziniert von Ungers Idee. Aber dafür Bahnhof, Post und Museum opfern, die drei Platzwände im klassizistischen Stil? Die würden doch sehr verschattet und also abgewertet.

Doch was dann mit dem Gewurschtel? Allerorten sind die einst repräsentativen Bahnhofsvorplätze zu bloßen Umsteigeplätzen mutiert. Allein 56.000 Menschen täglich steigen vor dem Bremer Bahnhof in Straßenbahnen ein und aus. Daß man künftig auf diesem Platz nicht nur umsteigt und hetzt, sondern sich zum Beispiel nach einem Besuch im Überseemuseum irgendwo lagern kann und nur gucken – das wünschte sich die Stadt Bremen, als sie im Spätherbst sechs Arbeitsgemeinschaften von FreiraumplanerInnen und ArchitektInnen zum Wettbewerb bat.

„Das wird nichts, solch eine fast unmögliche Aufgabenstellung“, dachte der Vorsitzende der Jury zunächst, Prof. Max Bächer aus Darmstadt, als er die Vorgaben sah: Der Platz sollte zwar aufgeräumt werden, aber nichts sollte ganz verschwinden. Auf der Ostseite des Platzes, vor der Post sollten sechs 110 Meter lange Straßenbahngleise zusammengefaßt werden, dazu der ZOB, gegenüber dem Bahnhof ein Neubau, und dann bitte noch eine Ruhefläche vor's Museum ...

Doch die Landschaftsplanerin Hannelore Kossel aus Berlin mit ihrem Architektenbüro Quick-Bäckmann-Quick ließ sich nicht schrecken, sie hat auch schon den Oberhausener Bahnhofsvorplatz entmüllt. Unscheinbar scheint ihr Entwurf zunächst. Unscheinbar? Nein, eher dienend, sagt Hannelore Kossel. Sie räumt alles aus dem Weg, was den Blick auf die drei Platzwände Museum, Bahnhof und Post verstellen könnte. Nur unaufdringliche Möbel läßt sie zu: etwa gläserne Haltestellendächer.

Außerdem teilt sie den ganzen langen Platz in drei Plätze mit unterschiedlichen Funktionen: in einen grünen Raum vor dem Museum – ein Rasenparterre mit Sitzstufen, von Bäumen gerahmt; in einen eher undefinierten grauen Platz mit Granitsteinen direkt vor dem Bahnhofseingang, nur von vier hohen Leuchtstäben abgesteckt; und in einen gläsernen Platz vor der Post – für Straßenbahn und ZOB.

Nichts Sensationelles, aber elegant und transparent. Verirren wird sich hier niemand mehr. Doch bräuchte Bremen nicht auch mal ein sensationelles Bauwerk? Über das man sich die Mäuler zerreißen kann, an dem sich die Geister scheiden? Ach nö, meint Juror Max Bächer. Bremen habe es nicht nötig, sich Sensationen herzuholen, es habe doch einiges an Baukunst, verkaufe sich nur schlecht. „Außerdem ist Qualität ein höherer Wert als Sensation“.

Ein bißchen Sensation hält Kossels Entwurf dennoch bereit. Die BewerberInnen sollten nicht nur den Platz, sondern auch ein neues Gebäude gegenüber dem Bahnhof (also direkt vor der Hochstraße) als vierte Raumwand entwerfen. Das Gewinnerteam hat dort nun nicht den vielgefürchteten Betonklotz in Karstadtformat hingestellt, sondern eine schmale Scheibe und ein Karree, verbunden durch eine riesige Glashalle. Wer vom Bahnhof kommt, kann durch diese klimatisierte Zone hindurch in die City wandeln. In der Halle finden dann auch die vom Platz geräumten Servicestationen Platz.

Und, noch schöner: Auch das Wirtschaftsressort, das Investoren naturgemäß mit möglichst viel Bürofläche ködern möchte, ist angesichts dieses Entwurfs über seinen Schatten gesprungen: Wichtiger als möglichst viel Baumasse sei hier doch, eine attraktive „Adresse“ zu schaffen, so Hans-Joachim Torke vom Senator für Wirtschaft. Dafür nimmt man auch in Kauf, daß durch die Glashalle einiges an Bürofläche „verloren“ geht. Für Fassadengestaltung und innere Raumaufteilung des Gebäudes wird zwar im Sommer noch ein Wettbewerb ausgeschrieben – doch die vom Winner-Team gemachte Vorgabe wird wohl nicht angetastet. Einen „Betonklotz“, so waren sich gestern Jury, Bausenatorin Lemke-Schulte und Wirtschaftsbehörde einig – wird es nicht geben.

Und wann dürfen wir dann endlich vor dem Bahnhof auf der Wiese lümmeln? Zwar sind die BremerInnen mit bislang vierjähriger Vorplanungszeit vergleichsweise sehr schnell – üblich sind durchaus 20 Jahre und länger für solche Projekte – doch bis Ende 1997 werden sich die BremerInnen wohl noch gedulden müssen. Nächstes Jahr wird erstmal der Verkehrsnknoten An der Weide umgebaut, 1997 werden die Straßenbahnhaltestellen zusammengelegt, wird der ZOB verlagert und der Neubau begonnen. Die Platzumgestaltung (inklusive der recht aufwendigen Schienenverlagerung) kostet voraussichtlich 52,5 Millionen Mark. Das Geld kommt aus dem Sanierungsprogramm. cis

Die sechs Modelle sind vom 17.-25.2. tgl. von 10 bis 18 Uhr in der Unteren Rathaushalle ausgestellt.