Einer wird schon gewinnen!

■ "Verlieren Sie Millionen" oder: Welches Spiel spielt das Fernsehen da eigentlich mit uns?

Ja. „Teil des Lebens im allgemeinen“, diese Verortung mitten in unserem Alltag ist dem Fernsehen die liebste. Nicht Nachrichtenvermittler, nicht Lehrmeister. Nicht Traumfabrik, nicht Aufklärungsanstalt. Teil unseres Lebens will er sein, dieser viereckige Kasten mit den täglich wiederkehrenden bunten Bildern. Und so schleicht er sich ganz spielerisch in unsere Herzen hinein, bietet uns – Wer sieht, gewinnt! – ein wenig Kurzweil und Vergnügen. Eine Atempause. Einen Ruhepool. Eine Abschaltmaschine. Und unmerklich beginnen wir sein Spiel mitzuspielen: Wer erbaute den Eiffelturm? Was kostet eine Packung Cornflakes? Welchen Umschlag hätten Sie gern?

„Für den erwachsenen und verantwortlichen Menschen ist das Spiel eine Funktion, die er ebensogut lassen könnte“, weiß der Spieltheoretiker Johann Huizinga. Und doch spielt der Mensch seit Menschengedenken. Freiwillig, und doch mit Hingabe. Für das Wort „Spielen“ gibt es kein Synonym. Die Idee des Spiels läßt sich durch nichts erklären. Wir spielen, weil wir Spaß am Spielen haben. Rien ne va plus.

Und mit dem Fernsehen spielen wir am liebsten. „Was bin ich“ ist mit über 300 Folgen immer noch die erfolgreichste Sendung der deutschen TV-Geschichte. Aber auch das „Glücksrad“ hält einen Rekord – als erster Quotenhit des neuen Privatfernsehens. Und dann war da noch Wim Thoelke und „Alles oder nichts“, und „Wetten, daß...?“ und Hans Maegerlein. Einer wird immer gewinnen! Die Quote.

Kein Wunder also, daß sich die Sender immer neue, immer absurdere Spielideen ausdenken, um uns zum Mitspielen zu bewegen: mal schnuppert einer an Teebeuteln, mal weiß er alles über Marilyn Monroe. Mal rät er den wahren Nutella-Preis oder weiß die richtige Frage zur vorgegebenen Antwort. Unendlich scheinen die Möglichkeiten, nur am Ende heißt es immer: Der Preis ist heiß!

Allein, das Spiel hat seine festen Regeln. Die lassen sich variieren, aber nicht umstoßen. Gewinnen kann im Spiel immer nur einer: der Beste. Das aber widerstrebt dem Fernsehen, vor dem wir doch alle gleich sind. Wenn also tatsächlich einer aus unserer Mitte schneller, besser, klüger sein soll, dann müssen wir uns von ihm wenigstens würdig vertreten fühlen.

Über diese Ansprüchlichkeit stolperte bereits in den 50er Jahren das US-Fernsehen. Wie uns Robert Redfords Kinofilm „Quizshow“ dieser Tage in Erinnerung ruft, sahen sich die Macher des US- Erfolgsquiz „Twenty-One“ bereits 1958 gezwungen, ihre Sieger nach ganz eigenen Regeln auszuwählen. War dem Publikum der Champion nämlich so unsympathisch wie der jüdische Einwanderersohn Herbert Stempel, sanken alsbald die Quoten. Als logische Konsequenz wurde der Sieger kurzerhand ausgetauscht: Mit den richtigen Antworten präpariert, gelang es dem Literaturprofessor Charles van Doren, Stempel zu schlagen und über mehrere Monate hinweg bei „Twenty-One“ abzuräumen. Die Ratings stiegen wieder, das Spiel war gelungen.

Erst nach der Aufdeckung des Skandals standen die eigentlichen Verlierer fest: Die Wissensspiele mit den hohen Preisgeldern hatten in den USA nun für immer ausgespielt. Denn das Spiel duldet keinen Regelverstoß. Die Mitspieler zu Hause vor ihren TV-Geräten fühlten sich betrogen, obwohl sie selbst kein Geld verloren hatten. Sie waren um weit mehr gebracht worden: um die Illusion des Spiels.

Seit diesem Sündenfall dominieren im Fernsehen Spiele, die alle spielen können. Kein Expertenwettbewerb, kein Hochleistungsduell, sondern Glück muß man haben. Das „Wheel of fortune“ kann eben jeder drehen. Die egalitären Regeln der Telespiele kommen hier wieder zu ihrem Recht. Denn die Philosophie des Wer will noch mal? schützt weit besser vor Manipulationen als jeder Aufsichtsbeamte.

Nun will sich das ZDF heute der Revolution des Spiels annehmen: „Verlieren Sie Millionen“ heißt die aus dem englischen übernommene Gameshow von Mike Krüger, die den Regeln der Spiels gehorcht, indem es sie vermeintlich bricht: Denn hier gewinnt, wer in drei Spielrunden die meisten falschen Antworten gibt und das ihm am Anfang zur Verfügung stehende Kapital am schnellsten verspielt hat. 13 Folgen lang wird Krüger nun den Verlierer der Woche küren, denjenigen also, der sich am konsequentesten auf „ganz einfache Fragen“ nicht wahrheitsgemäß geantwortet hat. Hier endlich also findet das Fernseh-Spiel wieder zu sich selbst, darf der Sieger wieder sein, was er ist: genauso verloren auf der Suche nach dem Sinn des Spiels wie wir. Klaudia Brunst

„So wenigstens stellt sich uns das Spiel an sich und in erster Instanz betrachtet dar: als ein Intermezzo im täglichen Leben, als Betätigung in der Erholungszeit und zur Erholung. Aber bereits in seiner Eigenschaft als regelmäßig wiederkehrende Abwechslung wird es Begleitung, Ergänzung, ja Teil des Lebens im allgemeinen.“ (J. Huizinga, Spieltheoretiker)