In der Gefahr, das genaue Gegenteil zu bewirken

■ betr.: „Ein Freispruch, der rechte Mythen bildet“, taz vom 4. 2. 95

Gut gemeint, aber immer in der Gefahr, das genaue Gegenteil zu bewirken: Die strafrechtliche Verfolgung der Leugnung des nationalsozialistischen Völkermordes.

Das funktioniert so: Die Täter reden, nachdem sie von der „Auschwitz-Lüge“ nicht mehr sprechen, nun vom „Auschwitz- Mythos“. Die Gerichte, die darüber zu befinden haben, stehen unter zunehmendem öffentlichen politischen Druck, was für den Rechtsstaat zumindest sehr ambivalent ist. Wer als Richter auch die Verhältnismäßigkeit bedenkt und die Bedeutung verschiedener Rechtsgüter (wie den Schutz der Würde der Opfer und die Redefreiheit) abwägt, steht schon mit einem Fuß im öffentlichen Skandal. Die jüdischen Organisationen müssen gegen jedes Urteil auftreten, das diese Abwägung nicht eindeutig zugunsten des Schutzes der Opfer vornimmt. Die öffentliche Kritik verbreitet die kritisierten Auffassungen tausendfach weiter. Und die alten und neuen Nazis werden ihr Spiel treiben mit den Gerichten, mit immer verhüllenderen, unbestimmteren Begriffen, die aber in diesem Spiel für sie ihre klare Bedeutung haben. Ich könnte schon einige nennen, die den Jungs da einfallen werden. Und das Eis der juristischen Auseinandersetzung mit der Geschichte wird immer glatter und abschüssiger.

Die neuesten Urteile, und zwar sowohl die „positiven“ wie die „negativen“, bestätigen alle Befürchtungen, die gegenüber der Verschärfung des Strafrechts geäußert worden sind. Warum nur ist unsere Gesellschaft nicht selbstbewußter in der Auseinandersetzung? Hermann Kuhn, Bündnis 90/

Die Grünen, Mitglied der

Bremischen Bürgerschaft