■ Die fatale Reaktion auf die Morde in Österreich
: Moralischer Offenbarungseid

Der Mann platzte beinah vor Wut. Er habe es satt, sagte Franz Löschnak, der Chef aller österreichischen Polizisten, dauernd vorgehalten zu bekommen, seine Behörde würde „vertuschen und verniedlichen“. Ihm kann geholfen werden. Er müßte nur aufhören, zu vertuschen und zu verniedlichen.

Der Sozialdemokrat Löschnak ist Innenminister. Als solcher hat er die politische Verantwortung für seine Truppe. Deren Verhalten folgt, wann immer eine neue Bombe hochgeht, dem Vorbild des bedingten Reflexes. Im besten Fall wird erst einmal ein rechtsradikaler Hintergrund geleugnet; im schlimmsten Fall – etwa als jüngst im burgenländischen Oberwart vier Roma von einem Sprengsatz zerrissen wurden – werden die Opfer zu Tätern gemacht.

Als vor einigen Monaten eine Rohrbombe an einer zweisprachigen Schule in Kärnten gefunden wurde, die später einem Polizisten die Arme abriß, da schnüffelten die Fahnder erst mal im Rotlichtmilieu; nun galt als Denkmöglichkeit, daß die Roma die Tafel mit der Aufschrift „Roma zurück nach Indien“, die den perfiden Zünder in sich barg, selbst sprengen wollten und dabei ums Leben gekommen wären. Demnach durchsuchten die Fahnder als erste Amtshandlung – die Häuser der Roma.

Der für all dies politisch verantwortliche Innenminister machte in den vergangenen Jahren vor allem aber durch eine rigide Ausländergesetzgebung und durch die menschenverachtende Exekutierung der ohnehin dummdreisten Gesetze von sich reden. In jedem zivilisierten Land würde eine solche Bilanz zu einem halben Dutzend Rücktritten reichen – doch Wien ist anders.

In Wien plaudert der Bundeskanzler, Franz Vranitzky, immer noch vom antifaschistischen Grundkonsens; wenn die Kameras surren, wird er nicht müde, liberal und weltoffen klingende Schachtelsätze zu verfertigen – doch was sind die wert, solange der Innenminister, eine Karikatur des Polizeipräsidenten aus der Erfolgsserie „Kottan ermittelt“, weiter amtieren darf?

Der antifaschistische Grundkonsens „existiert“ nicht einfach – ihn gilt es zu sichern, herzustellen, Tag für Tag. Wer das – absichtlich, fahrlässig oder aus Dummheit – versäumt, trägt Verantwortung dafür, daß sich versprengte neonazistische Kader bestärkt fühlen in ihrem Glauben, mit Hetze und Terror die Republik aus den Angeln heben zu können.

Es gab in Österreich, anders als in Rostock oder Hoyerswerda, niemals Pogrome, die von einer größeren Zahl an Bürgern beklatscht worden wären. Auch werden die mörderischen Akte nicht von marodierenden Skinhead-Truppen ausgeführt, die Brandflaschen in Wohnhäuser wuchteten, sondern von einem offenbar bestens organisierten Untergrund, der über technisch versierte Bombenbauer verfügt.

Es liegt in der Natur der Sache, daß in einem solch klandestinen Milieu Fahndungserfolge nicht leicht zu erzielen sind; auch ist offenkundig, daß minutiös geplante Anschläge schwerer zu verhindern sind als offene Brandschatzungen durch einen marodierenden Mob. Aber man kann ein Klima schaffen, in dem die Täter wenigstens nicht das Gefühl haben, radikale Avantgarde einer allgemeinen xenophoben Grundstimmung und Vorbereiter eines – ohnehin schon eingeschlagenen – Weges in eine neue Republik zu sein.

Jörg Haiders „Freiheitliche“ sind die logischen Gewinner einer solchen mentalen Schieflage. Er gewinnt seine Anhänger mit xenophober Propaganda, mehr noch aber mit seinem aggressiven Gestus gegen das von ihm als unfähig und korrupt bezeichnete Establishment – zu dem er im übrigen selbst gehört. Und was macht dieses Establishment? Es weigert sich, diese Herausforderung anzunehmen.

Haiders Forderungen werden im vorauseilenden Gehorsam (über-)erfüllt; dessen Gerede von der „Dritten Republik“ wird zunehmend zur allgemein akzeptierten Vokabel. Und jetzt, wo die vierte Bombenwelle seit 1993 das Land erschüttert und – nach einigen Schwerverletzten – erstmals Tote fordert, wird nach der Maxime verfahren, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Terroristen? So was gibt's bei uns net.

Die zögerliche Reaktion der politischen Klasse auf die Morde von Oberwart ist der moralische Offenbarungseid, die Lethargie der Bevölkerung nur deren logische Folge – dieses fatale Signal wächst über die Verständnisrhetorik deutscher Politiker während der Rostocker Pogrome noch hinaus.

Es ist wichtig, Gesetze zu ändern und um Mehrheiten zu kämpfen. Politik vermittelt sich aber auch durch Symbole. Die Anwesenheit des Bundespräsidenten beim Begräbnis am Samstag ist ein solches – notwendiges – Signal. Der Rücktritt des Innenministers wäre ein weiteres. Robert Misik

Deutschlandkorrespondent des österreichischen Politmagazins „Profil“