Abwicklung auf amerikanisch

US-Präsident Clintons Haushaltsentwurf für das Jahr 1996 / Die Republikaner fordern „Devolution“ der Bundesprogramme  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Helmut war da. Wenigstens eine gute Nachricht. Einen ganzen Abend lang konnte Bill Clinton gestern einer Lieblingsbeschäftigung frönen: Essen mit dem Kanzler. Als Zugabe noch eine Showeinlage von Tony Bennett im Ostflügel des Weißen Hauses. Ein paar in jeder Hinsicht erfüllende Stunden, in denen der Präsident von heimischen Widrigkeiten verschont blieb: dem Streik der Baseball- Profis, dem neuesten Buch über seine politische Karriere mit höchst unvorteilhaften Details über außereheliche Affären und innereheliche Streits – oder der Kritik an Clintons Haushaltsentwurf.

„Ökonomisch widersinnig“, kommentierte der Economist. „Kapitulation vor den roten Zahlen“ monierten die Republikaner. „Enttäuschend“, das „Progressive Policy Institute (PPS), Clintons liebster think-tank, der ihm einst für den Wahlkampf 1992 ein Wirtschaftsprogramm formulieren half. 1,61 Billionen Dollar umfaßt das Wunschbudget des Präsidenten. Die größten Brocken werden für das staatliche Sozialversicherungsprogramm (355 Milliarden), die staatliche Krankenversicherung für Senioren und Arme (302 Milliarden), sowie die Rüstung (261 Milliarden) veranschlagt. Aber die Crux der US-Haushaltspolitik liegt im viertgrößten Ausgabenposten: 257 Milliarden Dollar müssen 1996 an Zinsen für den nationalen Schuldenberg aufgebracht werden. Daran kann auch die republikanische Opposition wenig ändern. In seiner ersten Amtszeit, hatte Clinton im Wahlkampf versprochen, werde er das jährliche Defizit, das 1992 noch 290 Milliarden betrug, um die Hälfte reduzieren.

In den ersten Amtsjahren sank das Defizit tatsächlich. Genauer gesagt: Der Schuldenberg wuchs weniger schnell. Doch mit dem neuen Budgetentwurf würde das Defizit von den für 1995 prognostizierten 192,5 Milliarden auf 196,7 Milliarden Dollar 1996 steigen – und sich nach den Berechnungen des Weißen Hauses danach bei jährlich 190 Milliarden einpendeln. Insgesamt versprach der Präsident Einsparungen von 144 Milliarden Dollar für die nächsten fünf Jahre. Ein bißchen sollen damit die Schulden, ein bißchen die Steuern gesenkt werden.

Nun wird angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse im US- Kongreß von Clintons Haushaltsplan nicht viel übrigbleiben. Zum Plansoll der Republikaner, unter deren Heldenfigur Ronald Reagan das Defizit in die Höhe geschossen war, gehört das Versprechen, im Jahr 2002 wieder einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren. Es wäre der erste seit 1969.

Doch für dieses Ziel müssen heilige Kühe des US-Budgets geschlachtet werden. Die staatliche Sozialversicherung, Krankenversicherung, Agrarsubventionen und das Sozialhilfebudget – die sogenannten entitlement programs, auf die jeder Bürger ein Anrecht hat, sofern er sich dafür qualifiziert. Während es politisch derzeit höchst opportun ist, mit dem Rotstift und rechter Rhetorik gegen SozialhilfeempfängerInnen – mehrheitlich Frauen und Kinder – vorzugehen, ist der politische Preis für Kürzungen bei Programmen wie social security oder medicare hoch. Denn davon profitiert vor allem die umworbene amerikanische Mittelschicht. US-Amerikaner finden zwar laut Umfrageergebnissen einen ausgeglichenen Haushalt sehr erstrebenswert, die dafür nötigen Kürzungen aber überhaupt nicht. Es sei wie mit dem Zahnarzt, bemerkte der Präsident. Jeder hält ihn für sinnvoll, solange er nicht bohrt.

Diese Tätigkeit hat der Demokrat demonstrativ den neuen republikanischen Revolutionären um Newt Gingrich und dessen Haushaltsexperten John Kasich überlassen – wohl hoffend, daß sie ihre Versprechungen verwünschen werden: Wer einen ausgeglichenen Haushaltsentwurf bei gleichzeitiger Steuersenkung und Erhöhung des Rüstungsbudgets präsentieren will, muß entweder zaubern können – oder bereit sein, für unpopuläre Ausgabenkürzungen einen hohen politischen Preis zu zahlen.

Nun mögen sich die Republikaner an ihren eigenen Bissen verschlucken. Doch sie haben nach ihrem Wahlerfolg im November 1994 mit ihrem Schlachtruf gegen Steuern und Staat zweifellos die Debatte dominiert. Profitiert haben davon bislang vor allem die Gouverneure der Bundesstaaten. Denn die Aversion gegen government, gegen staatliche Bürokratien, Gesetze und Verwaltungsvorschriften, richtet sich vor allem gegen den US-Kongreß und die Bundesregierung – die „Feds“, wie ihre Vertreter genannt werden. „Devolution“ heißt das neue Schlagwort. Gemeint ist der Abbau bundesstaatlicher Kompetenzen – egal, ob es um Sozialpolitik, das Erziehungswesen oder den Umweltschutz geht. Die Machtposition des Bundes und seine Verantwortung für das Gemeinwohl wurde in Zeiten des New Deal oder in der Amtszeit der demokratischen Präsidenten Kennedy und Johnson als Errungenschaft gefeiert. Heute beschimpfen vor allem republikanische Gouverneure die Politiker in Washington als „kleine Potentaten am Potomac“, die ihnen das Leben schwer und das Regieren unmöglich machen. Einen ersten Erfolg konnten die Gouverneure letzte Woche verzeichnen, als der Kongreß sich selbst einiger Kompetenzen beraubte: In Zukunft soll es dem Parlament erschwert werden, Gesetze und Vorschriften zu erlassen, ohne den Bundesstaaten und Gemeinden Geld zur Umsetzung zu gewähren.

Umwelt- und Verbraucherschutzgruppen schlugen umgehend Alarm: Mehrere Gouverneure haben sich wiederholt gegen Bundesumwelt- und Verbraucherschutzgesetze mit der Begründung gewehrt, es gebe kein Geld.

Am weitesten ist die „Devolution“ beim Thema Sozialhilfe gediehen. Anstelle der Bundesprogramme wollen die Republikaner im Repräsentantenhaus den einzelnen Staaten eine feste Summe zuweisen, welche die Gouverneure dann mehr oder weniger nach ihrem Gutdünken einsetzen können. Auch über „Medicaid“, die Krankenversicherung für Arme, soll demnächst im Kongreß verhandelt werden – gefolgt von einer Debatte über die Finanzmittel zur Umsetzung des „Clean Air Act“, dem bundesweiten Gesetz zur Luftreinhaltung. Die „Devolution“ ist in vollem Gange – und mit ihr eine heftige Debatte über den Föderalismus in den USA.