Das Negative am positiven Denken

■ Krebs-Informationstage: Dr. Haak über Trauer, Genesungsstreß und wilde Tiere

Das sind die Geschichten, die wir lieben: Einer, krebskrank, bricht die Zelte ab, verläßt Frau, Kind und Kegel und geht in die Karibik. Dort wird er braun, gutgelaunt und natürlich gesund.

„Denk positiv!“ lautet die populäre Devise. Früher hat man sich gequält und rumgeschlagen mit Beziehungs- und Erziehungsfragen, wollte hoch hinaus und überall zugleich sein - welch ein Leben. Dann kam der Krebs wie eine Strafe. Danach heißt es: Umdenken! Leben! Jeder ist seines Glückes Schmied.

So wohlfeil und attraktiv solche Vorstellungen sind, so gefährlich können sie sein. „Negative Auswirkungen des positiven Denkens“ nannten Dr. Hans Haack, Leiter der Klinik für Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik am ZKH Ost und seine Mitarbeiterin Angelika Thiele einen Vortrag bei den Krebs-Informationstagen. Das Publikum war vom Fach: Zahlreiche kahle oder perückenbedeckte Köpfe zeugten von überstandener Chemotherapie.

Ein typischer Fall: Ein Mensch stirbt. Seine Angehörigen trauern. Einige Wochen später entdeckt man bei einem Trauernden Krebs. Ein vermeintlich klarer Fall des Zusammenhangs von übergroßer Trauer und Krebs. Dabei, so Haack, braucht ein Krebs Jahre, bis er festgestellt werden kann. Solche Kurzschlüsse sind bei einer so rätselhaften Krankheit nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Dahinter steckt einerseits die Hoffnung, doch etwas tun zu können. Andererseits gewisse Forschungsergebnisse der Psychosomatik.

So kommen aus den USA etwa die populären Ergebnisse von Carl Simonton, der den Lebenswillen als zentralen Faktor der Heilung erkannte. Von Hand zu Hand geht auch ein altes Buch von Dale Carnegie: „Sorge dich nicht, lebe!“ Wer nicht genau liest, versteht: „Wem es nicht gut geht, der ist selbst schuld.“ Diese Haltung kann, besonders bei den zutiefst erschütterten Krebsbetroffenen, schlimme Folgen haben.

Denn genau der Streß, der womöglich einer der Gründe für die Krankheit war, kommt durch die Hintertür wieder herein: Ich muß positiv denken, Freude ausstrahlen. „Genesungsstreß.“ Besonders schwierig dann die Situation für Mütter, die es gewöhnt sind, sich mit ihren Belangen zurückzuhalten. Sie zwingen sich, gut drauf zu sein. Hans Haack: „Kräfteverzehrender Betrug!“

Trauer, Angst, Wut, Verzweiflung – all das gibt es beim Krebskranken oft auch noch Jahre nach seiner Operation oder Therapie. Diese Gefühle zu kontrollieren erforderten „wie wilde Tiere im Zoo fortwährend einen hohen Bewachungsaufwand.“ Allgemeingültige Regeln im Sinne von „positiv Denken“ gibt es leider nicht – der Weg des Krebskranken ist individuell und richtet sich, so Haack, nach der gemachten Lebenserfahrung.

Geduld gehört dazu. Eine Betroffene wies darauf hin, daß das Leben nach der Krebsdiagnose, das sich je nach dem Niveau der „Bewältigung“ ändert, immer wieder spiralförmig zu den überwunden geglaubten Konflikten zurücckehrt. Jahrelang. Daraus folgt ein Problem: Freunde und Angehörige sind irgendwann genervt. Ein alternatives Hilfsangebot für derartige Konfliktsituationen sucht sie in der Stadt aber vergeblich. BuS