Eine Amerikanerin in Berlin

Bar-Mizwas vor der Berliner Mauer – absolut im Kommen! Hochzeiten, Taufen, sogar Beschneidungen können jetzt vor den Resten des größten Erfolgssymbols seit dem Sputnik durchgeführt werden – Erfolg, weil es einmal die Bösen gab und „wir“ gewonnen haben. Segen auf Dein Haus, und mögen die Konfirmation Deines Sohnes, der Schulabschluß Deiner Tochter, Deine dritte Ehe ein ähnlich glückliches Schicksal erleben.

Ich erfuhr, daß wir diese Berliner Mauer mieten können, dank Peter Schneider, der zusammen mit Margarethe von Trotta das Drehbuch des Eröffnungsfilms geschrieben hat. „Das Versprechen“, eine Liebesgeschichte, die einen Zeitraum von dreißig Jahren und die Teilung von Berlin überbrückt. Heute gibt es eine Firma in Berlin, die Ihnen eine Nachbildung der Berliner Mauer für Ihre Familienfeier anfertigt. Es ist das Wunder des Kapitalismus, für das alle osteuropäischen Länder gekämpft haben. Prospekte auf Anfrage.

Viel wurde auf dem Festival über „Das Versprechen“ gesagt – der Film wurde bereits in zwanzig Länder verkauft und wird als deutscher Beitrag in den Wettbewerb um den „Oscar“ geschickt. Und das ist das Wichtigste daran: er löst eine Diskussion aus jenseits des Zynismus, der heute in (West-)Deutschland so häufig die Gespräche über den Osten prägt – abgesehen von Bemerkungen über die Kosten des Wiederaufbaus in Ostdeutschland, die die Kosten des Lebens dort aus dem Auge verlieren. Wie die „Holocaust“-Serie oder „Philadelphia“ ist „Das Versprechen“ der erste große Film über ein überwältigendes Ereignis, und daher ist ihm die unmögliche Verantwortung zugefallen, die dreißigjährige Tragödie der Mauer so zu zeigen, wie sie jedem einzelnen Zuschauer in Erinnerung ist.

Das aber ist lächerlich: „Das Versprechen“ ist ein Melodram; der Film hat die Aufgabe, sein Thema in die Talkshows zu hieven und den Umsatz an Papiertaschentüchern zu steigern. Verlangen Sie von Scarlet keine funFoto: Christian Schulz

dierten Äußerungen zum Bürgerkrieg. Außerdem ist „Das Versprechen“ nicht nur ein Melodram, sondern ein amerikanisches Melodram – nicht in der Besetzung oder dem Hintergrund, sondern in der Erzählung. „Hindernisse überwinden“ heißt das unwiderstehliche amerikanische Thema, und Kinogänger in aller Welt werden „Das Versprechen“ lieben, wie sie die amerikanische Mythenmaschinerie immer geliebt haben. Letzten Endes ist „Das Versprechen“ ein „Dr. Schiwago“ mit happy end, was den Mangel an Landschaftsbildern gewissermaßen kompensiert. Diesen Mangel kompensieren außerdem in der weiblichen Hauptrolle Corinna Harfouch, die man sich für die Verfilmung von Barbra Streisands Leben vormerken sollte, und August Zirner, die männliche Hauptrolle im Format von Jeremy Irons / Matthieu Carriere. Sein (für mich) erregendster Beitrag auf der Pressekonferenz war die Bemerkung, er habe eine typisch männliche Rolle gespielt: er habe zu spät erkannt, daß er die Frau verloren habe, die er liebte. Sein Wort in die Ohren meiner Ex- Liebe. Aber vielleicht werde ich meine Ex-Liebe auch einfach fallenlassen. Hinweise, wo Zirner frühstückt, sind willkommen.

Eine abschließende Bemerkung zu „Das Versprechen“: meine erste starke Reaktion spürte ich bei dem Bild deutscher Soldaten, die unglückliche Flüchtlinge erschießen. Es ist ein vielschichtiges Bild, und schwierig einzusetzen, weil es sich nicht von Assoziationen zum Dritten Reich trennen läßt. Diesmal sind die Opfer Deutsche. Bieten Erzählungen über den Osten Deutschen die Chance, Juden zu sein? Einerseits: natürlich, gerade weil auf Deutsche geschossen und ihr Leben vernichtet wurde. Von Trotta konnte auf dieses Bild gar nicht verzichten. Dennoch war mir dabei unwohl, und ich hoffte, es würde nicht zu einem jener Hochglanzbilder, die von den tieferen Schichten der Bilder und der Geschichte ablenken, wie es in den USA häufig Bilder von Vietnam-Veteranen erreichen. Man könnte denken, die Vietnamesen seien in den Staaten gelandet und hätten unsere Jungs in Biloxie mißhandelt. Das Bild von Deutschen und GIs, die unter den Schüssen von Soldaten fallen, ist zumindest teilweise wichtig wegen der Leichtigkeit, mit der Opfer zu den Waffen greifen. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning