: So viel Anfang
Der neu gegründete Berlin Verlag im Prenzlauer Berg und sein vielversprechendes erstes Programm ■ Von Jörg Plath
Der Schwebezustand ist vorbei: In wenigen Tagen wird der Berlin Verlag seine ersten eigenen Bücher vorweisen können. Zwanzig auf einen Schlag bringen die nur zehn Frauen und Männer um den Verlagsleiter Arnulf Conradi heraus, und so herkulisch wie die Anzahl, so blendend ist die Prominenz der versammelten AutorInnen – zu ihnen zählt auch Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer. Der Berlin Verlag ist einer gewöhnlichen Neugründung so ähnlich wie die taz einem prosperierenden Unternehmen.
Das schillernde Phänomen trieb gleich scharenweise die Journalisten in die Greifswalder Straße 207 im Prenzlauer Berg. Für den Buchhandel war die Gründung des Berlin Verlag im Februar 1994 ein Hoffnungszeichen. Nach all den Konkursen und Aufkäufen (Luchterhand, Rotbuch, Frankfurter Verlagsanstalt u.a.) labte sich die Branche am Schwung des erfahrenen Newcomers Conradi, der dem geschäftsschädigenden kulturpessimistischen Gerede von der Krise des Buches endlich Handlungen entgegensetzte.
Balsam auf die geschundene Hauptstädterseele goß schon der von Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld geliehene Verlagstitel, gerade weil das neue Unternehmen erklärtermaßen keine regionale, sondern internationale Literatur verlegen will. Mit dezentem Hinweis auf seine Amerikaerfahrungen begrüßte eine Tageszeitung (West) Conradi als „Kolonisten“, der die Berliner Kulturprovinz urbar zu machen verspreche.
Dieser vorerst glückliche Ausgang eines Trecks gen Osten hat eine Vorgeschichte mit ansehnlichem human touch. Handelnde Personen des Buchhandelsdramas sind einige Tycoons der deutschen Verlagsszene – der Holtzbrinck- Konzern (Rowohlt, Fischer, Manager-Magazin, Tagesspiegel) sowie in einer Nebenrolle Suhrkamps Siegfried Unseld.
Arnulf Conradi ist in der Branche nicht irgend jemand. Bis Ende 1993 war er einer der vier Programmgeschäftsführer des S. Fischer Verlags – derjenige, dem der Verlag sein Profil und die schwarzen Zahlen zu verdanken hat. Als die Holtzbrinck-Tochter und S.-Fischer-Mitgeschäftsführerin Monika Schoeller alle Buchumschläge in die Hände eines Künstlers ihrer Gunst geben wollte, widersprach Conradi – aus ästhetischen Gründen, wie er nicht müde wird, zu beteuern.
Weil aus dem Konflikt schnell eine Machtfrage wurde, klatschte die Branche von „Szenen einer Ehe“ – das menschliche Gesicht des Kapitalismus hat eben aus einer soap opera zu stammen. Conradi wies diese Vermutungen stets zurück: Man habe immer „getrennte Waschbecken“ gehabt. Schließlich ging der Programmgeschäftsführer von Bord, und mit ihm kehrten seine Frau Elisabeth Ruge und Veit Heinichen Frankfurt den Rücken, bei S. Fischer zuständig für russisch- und englischsprachige Literatur beziehungsweise Marketing und Werbung.
Der Abgang hätte das Ende einer steilen Karriere sein können, die Conradi nach Studium und Promotion in Berlin und einem Lektorenjob beim Claassen Verlag, Düsseldorf, schnurstracks an die Spitze eines der größten und angesehensten deutschen Verlagshäuser geführt hatte. Doch Conradi hat die unverhoffte Chance zu einem Neuanfang mit 49 Jahren weidlich genutzt und lukrative Angebote auch aus anderen Branchen ausgeschlagen. Für seinen Verlag fand er potente Geldgeber, die geschätzte acht bis zehn Millionen einzahlten – und prompt zu neuen Spekulationen einluden: Mit je 25 Prozent sind neben Conradi und dem BMW-Aufsichtsratsmitglied Hans Graf von der Goltz der Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld und sein maßgeblicher Finanzier, der Schweizer Industrielle Andreas Reinhart mit von der Partie. Sie halten zusammen 50 Prozent des Gesellschafterkapitals: Ist der Berlin Verlag ein „Suhrkamp Berlin“ analog zur Dependance „Rowohlt Berlin“? Conradi widerspricht heftig: „Mir kann keiner reinreden“, sagt er, und Unseld sei nur als Privatmann beteiligt. Auch für die Taschenbücher habe er keine Option, die Titel würden allen Verlagen zu Marktpreisen angeboten.
Schwierigkeiten mit dem Verkauf der Taschenbuchrechte dürfte Conradi nicht haben. Unter den AutorInnen finden sich neben Nadine Gordimer Margaret Atwood, Richard Ford, Jeanette Winterson, Viktor Jerofejew, Jewgeni Popow, Isaiah Berlin und Richard Sennett. Größtenteils bekannte S.-Fischer-Autoren, die Conradi gefolgt sind, weil sie ihm vertrauen; neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer hat er stets Bücher lektoriert. „Es sind noch viel mehr Autoren“, lächelt der Verleger, „nur haben nicht alle zur Zeit ein Buch fertig.“
Wegen dieser Abwerbungen, die S. Fischer herbe Verluste beigebracht haben, ist Conradi ein „Mephisto, ein Mann ohne Gewissen“ genannt worden; eine Bezeichnung, die ihn merklich getroffen hat. Die enge Bindung der deutschen Schriftsteller an ihre Verlage, erläutert er gern, gäbe es in den englischsprachigen Ländern nicht. Dort wechselten die Autoren mit ihren Lektoren die Verlage, wenn sie sich bei ihnen in den richtigen Händen fühlten. „Ich habe nicht mit der dicken Brieftasche abgeworben“, sagt Conradi, „die habe ich ja gar nicht. Ich habe die Autoren besucht, ihnen von dem Wagnis eines neuen Verlages erzählt und auch gesagt, ihr werdet wahrscheinlich auf Geld verzichten müssen. Keiner, auch kein Agent, ist zurückgeschreckt. Und Nadine Gordimer hat mir gesagt: ,Don't be afraid. I am with you.‘ Das sagen Mütter zu ihren Kindern: Hab keine Angst, ich bin ja bei dir.“
Mit diesem Pfand wußte Conradi zu wuchern, und wenn man dem großen, souverän freundlichen und wohl sehr beharrlichen Verlagsleiter in den hellen, von einem Freund umgebauten Hinterhausräumen im Prenzlauer Berg gegenübersitzt, weiß man auch, warum. Den namhaften Autoren mußte natürlich ein angemessen professionelles Umfeld geboten werden, und so wurde der Berlin Verlag aus dem Stand ein mittelgroßer Verlag. Auf die Frage, ob er denn nicht einmal Lust auf ein kleines Haus gehabt hätte, lächelt Conradi jungenhaft: „Das habe ich doch jetzt.“
Bewunderung hegt er für Hansers anspruchsvolles Belletristik- und ebenso gewichtiges Sachbuchprogramm. Triviales soll nicht verlegt werden, experimentelle Erzählweisen dagegen durchaus, wenn die anderen Bücher sie bezahlbar machen; mit einem Autor vom Prenzlauer Berg stehe man in Verhandlungen. Obwohl Conradi denkt, daß die wichtigeren Bücher zur Zeit im Ausland geschrieben werden, will er die deutsche Literatur pflegen. Das ist wohl auch nötig: Diese Seite des Programms ist mit Lutz Rathenow, Martin Mosebach und Sandra Kellein nicht ganz auf dem Niveau der fremdsprachigen Autoren.
Über Zahlen spricht der Geschäftsmann nicht. Ebenso wie die Höhe des Stammkapitals bleibt der erhoffte Umsatz Geschäftsgeheimnis. Doch die Größe von Kiepenheuer & Witsch, Hanser, Fischer oder Rowohlt (jeweils Hardcover) darf es schon sein. 25 Titel folgen im Herbst, 50 werden es dann jährlich sein. Auch in dieser Hinsicht ist der Verlag ein Paradiesvogel in Berlin: Kein weiterer sympathischer Kleinverlag und also auch keine Gefahr für sie. Bange müßte den großen Publikumsverlagen werden. Für sie wird die Luft dünner.
Die Expansion hat man sich schon fest vorgenommen. Seit die Buchhändler auf das neue Programm gut reagieren, könne er wieder ruhiger schlafen, sagt Conradi. Die zur Hälfte leerstehende Hinterhofetage möchte er daher auch nicht teilweise untervermieten wie sein kaufmännischer Geschäftsführer Veit Heinichen. „Es kann sein, daß wir uns schnell vergrößern müssen.“
Das sind lange nicht gehörte Töne im Verlagsgewerbe.
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