Neue Straßenmode mit Überbau

Am Rand der Kölner Herrenmodemesse: Dancefloor, Sport, Mode & Medien wachsen zusammen  ■ Von Ralf Niemczyk

Man trägt wieder gefärbt in der Halle 12.1. Ob Neonpink oder Feuerrot, ob pflegeleichte Kurzhaarfrisur oder Irokesensäge – der Raver von Welt hat das modische Einerlei der Käppis und XXL-Schlabbershirts längst hinter sich gelassen. David Bowies „Space-Oddity“-Phase erfährt mit viel Silber und Pastelltönen eine späte Huldigung. Gestern noch Sportswear, heute schon dekadent. Der Pariser Hip-Designer Lamine Kouyaté (alias Xuly Bet) schneidert Fußballtrikots des fränkischen Sportbekleidungsherstellers Puma zu todschicken Schlauchkleidern um. Für die Freunde gepflegten B-Boy-Daseins wirbelt Breakdancer und VIVA-Moderator Storm mit seinem Kollegen Swift über die Showbühne. Es wummert und ballert – Halle 12.1. ist Boutiquenwunderland, Subkulturschaufenster und Großraumklub zugleich.

1993 erweiterte die Internationale Herrenmodewoche in Köln – am Sonntag ging sie zu Ende – ihre mittlerweile etwas verstaubt und ostblockmäßig klingende Erfolgsveranstaltung „Interjeans“ um das Format „Sport Fashion“. Immer hart am Trend hatten die Verantwortlichen nämlich mitbekommen, daß das hektische Gewusel zwischen Individualsportarten und Nachtleben, zwischen Mountainbikes, Snowboards, House oder Acid Jazz ein wichtiger Markt geworden war. Mehr noch: Ein eigenständiges Segment mit eigenen Regeln und eigenen Klamotten. Und so packte man kurzerhand Surfer, Snowboarder und Klub- Designer in einer gesonderten Halle innerhalb der 163.000 Quadratmeter Gesamtausstellungsfläche zusammen.

Seit damals steht der vielbeschworene „Laufsteg Straße“ nun zweimal im Jahr in direkter Schnittstelle zur etablierten Modeindustrie. Wo die meisten Hersteller (noch) ihre eigene Zielgruppe darstellen, bestimmen Lebensgefühl, Popkultur und visionärer Spinnkram das Geschäft. Während einige Rolltreppen weiter die klassischen „Jeanser“ wie „Levi's“ oder „Wrangler“ ihre Handelspartner hinter rustikalen Westernfassaden empfangen, gehört eine brodelnde Atmosphäre zum guten Stil der 12.1. Neue (Kurzzeit-) Berufsbilder wie Messestand-DJ oder Jugendkulturdarsteller machen Authentizität und Szenebindung auch für die gelegentlich durchhuschenden Vertreter aus dem „Boss“- Revier deutlich.

Von 113 auf 170 nationale und internationale Aussteller ist die Messe-Marketing-Konstruktion „Sport-Fashion“ in diesem Jahr angewachsen. Das Segment zwischen T-Shirt-Klitsche und etablierter Surfmarke mit zweistelligem Millionenumsatz nimmt damit etwa neun Prozent der insgesamt 1.803 Aussteller ein. Mit der Geschlechtertrennung – die Frauenmodemesse findet einige Kilometer rheinaufwärts in Düsseldorf statt – nehmen es die Neumodischen nicht so genau. Viele Teile sind unisex, und die „Girls-Linien“ werden kurzerhand bei den Herren mitpräsentiert.

Rund 4,7 Milliarden Mark setzte die Herrenbekleidungsindustrie im „schwierigen“ Jahr 1994 um. Wieviel davon auf das Wachstumssegment „Fashion Sport“ entfallen, ist nicht gesondert ausgewiesen. Die Grenzen sind fließend, der Markt chaotisch, und das Abkupfern von Ideen gehört seit jeher zum Modekreislauf von in und out. Unter dem Signet „PJL“ verpaßt sich beispielsweise die Jeansmarke „Pepe“ einen peppigeren Technolook – ohne damit gleich unter „Fashion Sport“ geführt zu werden. Was zudem heute bei Szeneanbietern wie „Acentix Punkwear“, „Fresh Jive“ oder „Stoopid“ en vogue ist, haben flexible Trendketten wie „Hennes & Mauritz“ schon morgen im großen Stile umgesetzt. Der einstige „Fashion Sport“-Geheimtip Adidas ist keiner mehr, nachdem die Herzogenauracher leicht verspätet entdeckten, daß ihre edel schlichten Wettkampfkollektionen aus den Sechzigern und Siebzigern der Renner im Nachtleben waren.

Bislang haben die Sportartikler ihre modischen Linien über Brancheninsider wie Vision (Adidas) oder Homeboy (Puma) vertreiben beziehungsweise vermarkten lassen. Nun ist Adidas – genau wie der alte Rivale Puma – erstmals mit einem eigenen Promotion-Stand in der rumpelnden Halle 12.1 vertreten. Eigentlich viel zu spät. Selbst Hochglanzblätter wie Elle empfehlen mittlerweile ihren trendbewußten Leserinnen, die Finger von den drei Streifen zu lassen. Daran kann auch das eigens angeheuerte Adidas-Promotionteam nichts ändern, das ausstaffiert mit Trainingsjacken und schrillem Fummel vom Berliner Jungdesignerstudio „3000“ durch die angesagten Kneipen Kölns ziehen muß. Während Straßenmode für ein Großunternehmen wie Adidas nur ein netter Flirt mit dem Zeitgeist ist, überleben viele kleinere Anbieter den nächsten Geschmackswandel nicht. Für die alten „Sport Fashion“-Hasen (dazu zählt, wer etwa seit Mitte der Achtziger „dabei“ ist) gilt längst ausgemacht, daß „zu viele Kopisten“ unterwegs sind, die auf einen überstrapazierten Begriff setzen. Wer das technische Knowhow und die entsprechende Reputation hat, verlagert seine Schwerpunkte auf den solideren Sportsektor. Uwe Sasse vom Münchner Hersteller „Vision“ sieht seine Umsatzverteilung inklusive der Snowboardmarke „Circle O“ mittlerweile bei 80 Prozent Sport und 20 Prozent Mode.

Die eingeführten Marken positionieren um und entziehen sich so dem drohenden „Fashion Overkill“, den das Fachblatt Sportwear News angesichts der Flut „unglaublich schriller, schneller und junger Labels“ ausgemacht hat. Insbesondere für die Dancefloorszene hat sich die Messe zu einer postkulturellen Drehscheibe ersten Ranges entwickelt. Die „ravende Gesellschaft“ trifft sich tagsüber zum Ordergeschäft und nachts auf der Tanzfläche, denn oftmals sind DJs, Klubveranstalter und Modemacher eng miteinander verbandelt. „Aus der Szene, für die Szene“, heißt das Motto nicht nur bei der Rhein-Neckar-Crew rund um die Firma „Sabotage“, die sich früher im Mannheimer „Milk“ tummelte und heute auf selbstorganisierten Raves zu finden ist.

Wenn sich einzelne Marken dabei mit hehren Begriffen wie „Ideologie“ oder „Philosophie“ umgeben, dient das nicht nur dem Preisgefüge von diesem Anorak oder jenem Pullover, sondern auch der (überlebensnotwendigen) Selbstbehauptung ihrer Macher. Nur wer ein scharfes Profil hat, kann seine Ware exklusiv und knapp halten, und somit entsprechend teurer verkaufen. Was im modeverrückten England seit den Swinging Sixties ewiges Thema ist, hat sich auch hierzulande eigene Strukturen geschaffen: Straßenmode mit Überbau, die international längst zum wichtigsten Impulsgeber auch der „großen“ Modemacher geworden ist. Wozu natürlich auch der immer enger werdende Verbund zwischen Popindustrie, Medien und Modelabels beiträgt. Ein auf dem Flohmarkt kreierter Look wird von Kleinstfirmen aufgegriffen, verfeinert und in einzelne Szenen getragen. Dort wächst und gedeiht ein Subtrend heran, der wiederum auch Vervielfältiger wie Moderatoren, DJs oder Bands befällt. Irgendwann sind MTV, VIVA oder „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ – und damit tausend Kids – erreicht. Die Steuerung dessen gehört mittlerweile zum Marketingrepertoire zahlreicher „Sport Fashion“-Anbieter, die nicht nur den Moderatorenkleiderschrank bei VIVA bereitwillig auffüllen.

Wer diese Strukturen analysiert hat, kann mit Stilbewußtsein und dem Blick fürs Wesentliche – theoretisch – selber loslegen. Es herrscht eine chaotische Aufbruchstimmung, die den Herausgeber des Technomagazins Frontpage dazu veranlaßt hat, zur „Sport Fashion“ das vierteljährlich erscheinende Straßenmodemagazin Sense zu lancieren. Tenor: Wir sind die Zukunft! Während auf den Messeständen die Beats knattern und Einkäufer wählerisch Warenmuster begutachten, kreisen an einigen Ständen bereits die ersten Exemplare der (Techno-)Werkschau Localizer 1.0 (The Techno House Book), die gestern im Berliner E-Werk offiziell vorgestellt wurde. Der Dancefloor-Fashion- Komplex ist wieder ein Stück weiter zusammengewachsen.