Wand und Boden
: High-definition- Pointilismus

■ Kunst in Berlin jetzt: Michael Buthe, Thomas Emde, Stan Douglas

Als Michael Buthe im vergangenen Winter starb, nahm man sein Ableben im Feuilleton relativ gleichmütig hin. Wenn man sich seine letzten Arbeiten anschaut, versteht man, warum Buthe ein bißchen im Abseits stand: Trotz seiner documenta- Teilnahme zwei Jahre zuvor galt Buthe als mürrischer und zugleich fideler Außenseiter, dessen Bilder wohl einen Stich zu bunt für den Kontext der ernsten neuen Malerei waren, wie sie König und Obrist im „zerbrochenen Spiegel“ installiert hatten. Selbst die Bilder, die der Düsseldorfer Professor im vergangenen Jahr noch malte, sind in ihrer Art maßlos in eine übereinander herfallende Farbigkeit verstrickt, wie sie vielleicht sonst auf Märkten im Orient oder in der Fetischkunst Nordafrikas existiert. Buthe malt den Glanz der Welt in nahezu kindlichen Phantasietönen: Während im Untergrund einer großformatigen Leinwand-Arbeit mehr als ein ganzes Dutzend Rotwerte schwelen, sind blau und gelb leichthin mit dem Finger über die Oberfläche gewischt worden. Die Wirkung der vielschichtig leuchtenden Felder erinnert an späte Frank- Stella-Bilder, doch Buthe ironisiert nicht die Malerei als Ansammlung von verfügbarem Material, er reflektiert sich eher selbst im Blick auf das Bild. Anders als in Stellas gemalten Minimal-Theoremen spielt bei Buthe der Lebenswandel ins Werk hinein: wild und gestisch sind dann die abstrakten Fotoportraits übermalt und mit Titeln wie „Die heilige Nacht der Jungfräulichkeit“ versehen. Wie bei Jürgen Klauke ist Innen ein Kosmos, der auf ein anderes Objekt übertragen werden muß. Buthes surreale Mystik ist jedoch selbst dann noch von rheinischem Naturell, wenn sie Ornamente aus 1.001 Nacht benutzt.

Bis 4.3., Gutsch-Galerie, Di-Fr 13-18, Sa 12-15 Uhr; Geisbergstraße 38, Schöneberg.

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Bei Thomas Emde denkt man zuerst an Alchemie und Zauberei: „Motiv Farbe“ besteht aus wahnwitzig psychedelisch changierenden Farbbahnen, die wie Meterware an Aluminiumleisten freischwebend herunterhängen. Es ist tatsächlich nichts als Farbe, denn Emde benutzt keine tragenden Leinwände. Statt dessen bildet der Acryllack, den er in Amerika anmischen lassen muß, eine beinahe organische Dichte. Nachdem die Spezialfarbe getrocknet ist, wird der erste Auftrag, mit dem Emde grundiert, fest wie ein Latexlappen. Danach wird die Oberfläche mit einigen tausend Tupfern schichtweise in einem komplementären Verhältnis zueinander gesprenkelt. Daraus ergeben sich der wechselnde Schimmer aus Lila und Pink oder die völlig abrupten Übergänge von himmelblau zu scharfem grüngelb. Wie in einem Meer kleiner Tentakeln und Korallen lassen sich die unendlich vielen Lacknasen mit den Fingern zusammenpressen, um sich nach ein paar Sekunden wieder aufzurichten. Was in der analytischen Malerei sonst nur als Beschaffenheit des Materials sichtbar wird, transformiert bei Emde zu einem ziemlich fremdartigen Körper – kein Bild mehr, sondern Gebilde. Zugleich hat er simple Naturmotive in die dichten Farbketten eingeschrieben, flockige Wolkenformationen und lieblich dahinstürzende Wasserfälle. An der Grenze zum romantischen Kitsch spielt Emde mit den Möglichkeiten malerischer Darstellung, wie sie vor der Entdeckung der Fotografie noch bestanden haben. Die klischeehafte Idylle kippt aus einem bestimmten Blickwinkel in lauter abstrakte Flächen um. High-definition-Pointilismus. Mit der hier verwendeten Technik kehrt sich auch das Verhältnis der Medien um: Die bei Emde zugrunde gelegten, im Siebdruckverfahren gerasterten Aufnahmen ähneln in ihrer Auflösung dem Fernsehbild.

Bis 4.3., Di/Do/Fr 14-19, Mi 15-20, Sa 11-15 Uhr, Galerie Andreas Weiss, Nollendorfstraße 11-12, Schöneberg.

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Auch der Video-Künstler Stan Douglas greift gerne auf ältere Medien zurück: Im Rahmen seines DAAD-Stipendiums zeigt der Afrokanadier neben drei Video-Installationen gleich in zwei Räumen stille Landschaftsfotografien auf mittleren Formaten. Die mit der Plattenkamera erstellten Bilder sind in seltsam künstliche Lichtschleier gehüllt, die selbst Aufnahmen an spätherbstlichen Sonnentagen schattenlos erscheinen lassen. Auch die Farben wirken wie im Filmstudio durch unzählige Filter konstruiert. Dadurch bilden die winzigen Kleingartenkolonien vor Potsdam eine fremde Welt. Nur am Trabbi vor der Blockhütte erkennt man noch den Ort der Handlung. Douglas versucht damit jedoch gar keine Realitäten umzubilden, er analysiert vielmehr Erzählstrukturen. In der Überzeichnung läßt sich das Dargestellte nicht mehr von der Art der Darstellung trennen. Insofern unterscheiden sich die Fotos nicht von den „Monodramas“, zehn szenisch aneinandergereihten Suburb- Sequenzen, oder der Video-Arbeit „Hors-champs“, mit der Douglas bei der letzten documenta vertreten war. Von zwei Seiten werden Filme auf eine Leinwand projiziert: Auf der einen sieht man ein Free-Jazz- Quartett über ein Albert-Ayler- Stück improvisieren, auf der Rückseite hat Douglas das bei der Endproduktion verworfene Bildmaterial zusammengeschnitten. Über ganze Passagen lassen sich Film und Überschuß nicht auseinanderhalten. Auch in „Pursuit, Fear, Catastrophe: Ruskin B. C“ stellt sich die Analogie von Bild und Ton nur aus der Sicht des Betrachters her: Einen Stummfilm-Krimi aus den fünfziger Jahren läßt Douglas durch Arnold Schönbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“ auf einem mechanischen Klavier verfremden.

Bis 12.3., tgl. 12.30-19 Uhr, Marstall, Schloßplatz 7, Mitte. Harald Fricke