Abraham im Elysée-Palast

■ Erzählungen vom Guten und Bösen: Marek Halters „Die Gerechten“(Forum)

Lange vor „Schindlers Liste“, so ist das Pressematerial nicht müde zu betonen, hatte der französische Schriftsteller Marek Halter die Idee, einen Film über 36 Menschen zu machen, die Juden gerettet haben. Warum 36? Weil es im Talmud heißt: „Die 36 Gerechten unter den Völkern der Welt haben einen Platz in der kommenden Welt“. Halter ist in Frankreich vor allem durch sein „Buch von Abraham“ bekannt, in dem seine Familienchronik mit der des jüdischen Bundes mit Gott zusammenfällt; beim Lesen hat man mitunter das Gefühl, die Halters waren schon am Sinai dabei.

Marek Halter stammt aus Warschau. Geboren 1936, floh er mit seiner Familie ein Jahr vor dem Warschauer Ghetto-Aufstand Richtung Rußland; nach mehrmonatigen Nachtmärschen und wechselnden Verstecken kamen sie in Moskau an. Aber nach dem Angriff der Deutschen evakuierte man die Familie nach Usbekistan, wo eine Schwester an Unterernährung und die Eltern fast an Typhus starben. Der Achtjährige hat sie, so behauptet er jedenfalls, gerettet, in dem er sich einer Jugendbande anschloß, die Essen klaute. Stalin soll ihm später persönlich auf die Schulter geklopft haben. Nach dem Krieg zog die Familie zuerst nach Warschau zurück, später weiter nach Paris, wo der junge Halter mit anderen Jugendlichen eine Gruppe von Kibbuzniks gründete, die schließlich nach Israel gingen. Dort wiederum klopfte ihm Ben Gurion auf die Schulter klopfte.

Sein — soweit mir bekannt ist — letztes Buch ist eine politische Autobiographie mit dem Titel „Der Narr und seine Könige“ (bislang noch nicht ins Deutsche übersetzt), in dem Halter berichtet, wie er Yassir Arafat kennenlernte und ihm seine Frau Suha aus Tunis zuführte, ohne die es – davon ist der Autor überzeugt – den israelisch- palästinensischen Frieden niemals gegeben hätte. Sie ahnen also, wem der Nahe Osten seinen Durchbruch in Wahrheit verdankt.

Vor einigen Jahren setzte der in Paris lebende Regisseur sich dafür ein, an der Sorbonne einen „Monat des Judentums“ zu zelebrieren; er überredete François Mitterand, sich die Ausstellung anzusehen, Catherine Deneuve las einen religiösen jüdischen Text und Gerard Depardieu sprach Gedichte von Halters Mutter...

Nachdem er sich also mit dem Filmtitel der religiösen Referenzen (und im selben Atemzug natürlich auch der Ebenbürtigkeit mit „Shoah“) versichert hat, nickt der Regisseur im „Voice Over“ noch ein paar anderen Seiten zu. Endlich müsse auch von der „Banalität des Guten“ die Rede sein, „ich möchte“, so sagt er, „daß junge Europäer sagen, jawohl, das war eine dunkle Nacht, aber einige von euch waren wunderbare Menschen.“

Der Film beginnt dann allerdings zunächst, wie sollte es anders sein, mit Aufnahmen von Herrn Halter in Warschau, nah seinem Geburtshaus, zeigt Herrn Halter mit Iréna Sendler, die 2500 Juden gerettet hat, mit René Nodot (400), mit Klara Münzer (200), Zofio Doboszinska (10), und so weiter. Herr Halter in Sobibor, Kazimierz, Sarajewo, wo man dann endgültig an die Star-Power von Bernard-Henri Lévy erinnert wird. Dort, in Sarajewo, hat Halter eine Gruppe von Leuten aufgetan, die sich im Laufe der Jahrzehnte gegenseitig gerettet haben: die Katholiken die Juden, die Juden die Muslime. In Berlin, Tel Aviv, Aix-en-Provence: Halter ist überall.

Natürlich fährt der Regisseur stets mit Zügen durch Europa; seit „Shoah“ kommt kein auch noch so banaler Film ohne sie aus. Aber natürlich sieht man im Zugfenster immer das bärtige, unternehmungslustig funkelnde Bild des Meisters. Das Filmplakat zeigt Sonnenstrahlen, die aus düsteren Wolken mit Macht und der Präzision katholischer Ikonographie hervorbrechen, wie überhaupt häufig von der Stärke des Katholizismus die Rede ist. Wer weiß, die Einstellung ist womöglich nicht ungünstig, wenn man bei Monsieur Mitterand aus- und eingehen möchte.

Zu den Erzählungen vom Guten und vom Bösen, beides gleichermaßen banal, spielt ein Klavier im Hintergrund eine stets gleichmäßig an- und wieder abschwellende Bewegung, so als würden eben wirklich diese sechsunddreißig Gerechten die paar „Ungerechten“ irgendwie ausgleichen.

In Treblinka filmt Halter unter dem Eingangstor ein sich küssendes Liebespaar. And the winner is... Mariam Niroumand

„Tzedek / Les Justes“ (Tzedek/ die Gerechten). Regie: Marek Halter; Frankreich/ Schweiz 1994, 160 Min.