Eine schöne Ablenkung

Patriotische Hochgefühle in Ecuador  ■ Aus Quito von Ralf Leonhard

Francisco Dominguez ist Kriegsgewinnler. Strategisch plaziert mitten auf der Kreuzung der Avenidas de la República und Diego de Almagro verkauft er Fahnen. Gestern hat er nicht weniger als 30 von den gelb-blau-roten Stoffrechtecken mit dem ecuadorianischen Wappen unter die Leute gebracht. Der Schneidergehilfe und Vater dreier Kinder ist seit zwei Jahren arbeitslos. Aber dank des Grenzkonflikts hat sich ein neuer Marktsektor aufgetan. Fahnen verkaufen sich heute besser als Zigaretten und Kaugummis, die traditionellen Artikel der fliegenden Händler. Patriotismus hat Hochkonjunktur. Nicht nur öffentliche Gebäude sind in der ecuadorianischen Hauptstadt beflaggt. Ganze Häuserblocks in der Altstadt erstrahlen in gelb-blau-rot, und auch der zähe Straßenverkehr wird durch die Nationalfarben aufgeheitert. An den Wänden – die Aufrufe unzähliger Demonstrationen gegen Teuerung und Korruption sind noch nicht verblaßt – prangen patriotische Parolen: „Fujimori, Verräter Amerikas“, heißt es da. Oder: „Ecuadorianer: Wehrt euch gegen die peruanischen Übergriffe.“ Anarchistische Sponti-Sprüche sind die Ausnahme: „Was soll ich für ein Land sterben, das es gar nicht gibt.“

Der Fahnenverkäufer Francisco Dominguez ist bereit, an die Front zu ziehen, wenn ihn das Vaterland ruft. Aber nicht nur die Arbeitslosen können sich einen Einsatz im unwirtlichen Urwald am Rio Cenepa vorstellen. Auch Fernando Moya, der in der Hauptgeschäftsstraße Avenida 6 de agosto Kühlschränke und Fernseher verkauft, ist bereit, seine smarte Krawatte gegen eine Tarnuniform einzutauschen. Die zwei Tage seines Monatsgehalts, die allen Angestellten für die Armee abverlangt wird, hat er gern gegeben: „Das ist noch das wenigste, was wir tun können.“ Sein Chef hat eine größere Summe gespendet, als die Regierung letzte Woche in einem Telemarathon mehr als eine Million Dollar sammeln konnte.

„Wenn ein Peruaner kommt, verlange ich immer einen höheren Preis“, höhnt die Inhaberin eines Schuhgeschäfts in der Altstadt, die sich über jeden Toten, der auf peruanischer Seite gemeldet wird, diebisch freut. Überhöhte Preise gehören aber heute zu den geringeren Übeln, die Staatsangehörige des südlichen Nachbarlandes in Kauf nehmen müssen. Diese bittere Erfahrung machten die peruanischen Fernsehjournalisten José Marino und Carlos Mauriola, die am Dienstag von uniformierten Schlägern krankenhausreif geprügelt wurden.

Kaum einer der Quitenos ist jemals in der dünn besiedelten und 400 Kilometer entfernten Konfliktzone gewesen. Doch jeder hat eine Version von der umstrittenen Grenzziehung im Jahr 1942 parat, als Ecuador 52 Prozent seines bis dahin beanspruchten Territoriums und damit den Zugang zum Amazonas an Peru verlor. Keiner zweifelt daran, daß sich die Peruaner neuerlich ein Stück ecuadorianischen Bodens einverleiben wollen.

Bei allem Patriotismus leugnet hier keiner, daß das Land die kürzere Puste hat, wenn der Krieg nicht bald politisch beendet wird. Den Rüstungskosten ist die ohnehin prekäre Wirtschaft auf die Dauer nicht gewachsen. Wenn Präsident Sixto Durán in den Verhandlungen aber auch nur einen Zentimeter Boden abtreten muß, ist der Mann politisch erledigt.

Elisabeth Caiza ist sich ganz sicher: „Wenn der Krieg vorbei ist, dann geht es wieder mit den Demonstrationen los.“ Es sei schon vorher schwierig gewesen, erzählt die Inhaberin eines Gemischtwarenladens in der Galapagos-Straße im kolonialen Zentrum Quitos. Aber seit geschossen wird, geht das Geschäft schlecht. Und die Banken vergeben seit Beginn der Kämpfe keine Kredite mehr.

Noch kann sich der Staatschef aber in seinem Glanz als Verteidiger der Hoheitsrechte sonnen. Am Nachmittag füllt sich der Platz vor dem Regierungspalast mit fast zweitausend Schülern, die in freiwilligen Brigaden zur Unterstützung der Verkehrspolizei organisiert werden. Fähnchenschwingend begrüßen sie den Präsidenten Durán Ballén. Er komme gerade von der Front, wo er sich von der hohen Moral der Truppen überzeugt hätte, erklärt er vom Balkon herab.

Für Rafael Pandam, den Vizepräsidenten der Konföderation indianischer Völker Ecuadors (Conaie), stellt die Situation etwas differenzierter dar. Er ist Angehöriger des Volkes der Shuar, die beiderseits einer Grenze leben, die sie in Friedenszeiten gar nicht wahrnehmen. Über die Shuar, die im Kriegsgebiet als Elitetruppen und Führer der Armee fungieren, ist viel berichtet worden. Pandam macht zwar auch die Peruaner für den Konflikt verantwortlich, bestreitet aber, daß seine Brüder sich freiwillig an die Front gemeldet hätten: „Hier gibt es obligatorischen Wehrdienst. Und bevor sie sich dreißig Jahre als Verweigerer ins Gefängnis stecken lassen, verteidigen sie lieber ihr Land.“ Die Hilfsgüter für die über 800 Vertriebenen aus der Konfliktzone will die „Conaie“ weder der Regierung noch dem Roten Kreuz anvertrauen: „Nach dem Grenzkrieg 1981 tauchten die gespendeten Waren in den Läden der reichen Kaufleute auf.“ Deswegen nehmen die indigenen Völker die Versorgung der indianischen Grenzbevölkerung lieber selber in die Hand. Für fähnchenschwingenden Patriotismus können sie sich wenig begeistern.