Wenn der Zirkel ausschlägt

■ Maßarbeit an den Grenzen von Kunst und Wissenschaft: Die „Lichtfresken“ des Künstlerpaares Annamaria und Marzio Sala, für kurze Zeit in der Bremer Kunsthalle

Es gehört zu den schönen Paradoxien der sog. „neuen Technik“, daß es eher um Glaubensfragen als um technisches Wissen geht, wenn über Sinn und Unsinn der ganzen Sache diskutiert wird. Da gibt es nur Gläubige und Ungläubige. Peter Weibel z.B., Manager der „Ars Electronica“, ist einer der glühendsten Verfechter der Sache: Er glaubt fest daran, daß „die alte Kunst“ nur „im Rückspiegel der neuen Medien“ noch einen Sinn ergebe. Mehr noch: Für Weibel, Philosoph und Mathematiker von Haus aus, findet in der „Medienkunst“ endlich die Neuvermählung von Kunst und Wissenschaft statt. Daß die interessantesten Beiträge zur „Ars Electronica“ bis dato oft von Naturwissenschaftlern, nicht von Künstlern stammen, bleibt meistens unerwähnt.

So wird die Kunst rasch eingemeindet, und die „neue Technik“ hilft dabei. Gegen diesen Trend arbeiten seit Jahrzehnten zäh die beiden Salas. Ebenfalls Philosophen und Mathematiker von Haus aus, aber eben auch Kunstgeschichtler – und: Künstler. Die ausgreifenden Projekte zu einer „theoretischen Kunst“ entwickelt das Paar stets entlang der Schnittflächen von Kunst und Wissenschaft. Denn die behauptete Polarität zwischen beiden Gebieten ist etwas, an das Annamaria und Marzio Sala eben nicht glauben. Ihre Zeichnungen, Texte und Projektionen neigen einer etwas differenzierteren Weltsicht zu. Und so wendet sich ihr jüngstes Werk, der Lichtfreskenzyklus „Chronhomme“, gegen die einfachen Wahrheiten der Technikadepten: „Wir dürfen nicht in diese Falle gehen“, sagt Marzio Sala, „und glauben, daß wir mit dieser Technik einfach alles lösen können.“

Einfache Lösungen bietet ihr Werk wirklich nicht an. Die riesenhaften Zeichnungen, als Großdias an die Wände der Kunsthalle geworfen, bestehen aus komplexen grafischen Strukturen. Dabei benutzen die Salas keine Symbolschrift, die das Publikum mit irgendeinem ausgefeilten Schlüssel entziffern könnte. Ihre geometrischen Figuren sind komplex, lassen sich nicht auf einen einzigen Begriff bringen. Bewegung, Öffnung, Durchdringung sind Leitmotive der sieben Wandbilder: Flächen klappen plötzlich auf, öffnen sich scheinbar in den Raum; menschliche Figuren trudeln durch diverse Aggregatzustände. So vielschichtig die Erzählung ist, so einfach möchte das Autorenpaar die Interpretation halten: „Während Sie herumgehen und schauen, verändern Sie ihr Denken“, sagt Marzio Sala.

Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Betrachten hat allerdings ihre Grenzen dort, wo sich die allumfassenden Theorien zu Kunst und Wissenschaft nicht mehr aus den Bildern erschließen – schlicht deswegen, weil sie sich nicht verbildlichen lassen. Das alte Leiden, wenn Kunsttheorie in anschauliche Kunst transformiert werden soll. Daß es den Salas um einen Gegenentwurf zu einer technizistischen Weltsicht geht – schwerlich läßt sich das aus dem Anschauungsmaterial herauslesen.

Im Gegenteil: Gerade die technische Präzision, mit der das Künstlerpaar seine Tuschezeichnungen ausarbeitet, könnte die Betrachter in die Irre führen. Denn die Salas legen zwar Wert darauf, daß doch alles noch von Hand gemacht sei – aber an der Wand wirken die Bilder so mechanistisch, als ob sie frisch aus dem Taschenrechner kämen. Die Verfechter einer naturwissenschaftlich dominierten „neuen Technik“ hätten mit dieser Arbeit keine Probleme – inmitten der Spektakel der „Ars Electronica“ würden die Lichtfresken gut ankommen.

So ist die Theorie brillant, aber die Praxis hinkt etwas ratlos hinterdrein. Die Konstruktion ist eigentlich bestechend: Das Medium Zeichnung als frischer, direkter Abdruck der Künstleridee, des „Mentalen“, wie die Salas sagen; die Lichtprojektion als Sinnbild immaterieller Prozesse. Die Methode aber erschlägt am Ende die Idee – von der erhofften Frische ist in diesen exakt abgezirkelten Bildern kaum noch etwas zu spüren.

Thomas Wolff

“Chronhomme“, Lichtfresken von Annamaria und Marzio Sala, bis 26.2. in der Bremer Kunsthalle (Am Wall 207)