"Erschrick nicht, kleiner Frosch!"

■ Ein Gespräch bei einem Herrn namens 'Herbert' mit dem Vater von Naomi über Achternbuschs neuen Film "Hades"

Denen, die kommen, um ihn beim Malen zu stören, begegnet Herbert Achternbusch inzwischen mit entwaffnender Freundlichkeit, auch wenn seine Lust auf Interviews sicher nicht größer geworden ist. „Heut wär' ich am liebsten weggelaufen, bevor ihr gekommen seid“. Zuvor hatte er einen Termin mit dem ZDF. Die hatten ihn nach draußen gestellt. Achternbusch fror. Neben ihm stand ein Papierkorb, darauf stand „Haltet München sauber“.

Das kleine Wohnatelier des Malers, Dichters und letzten Autorenfilmers liegt in einem der ältesten Häuser Münchens. An der Tür steht nur „Herbert“, um die Fans abzuwehren. Sein Zimmer ist schmal und karg. Zwei Stühle, ein Tisch, ein Schrank, eine Kommode. An weißgetünchten Wänden hängen ein paar seiner Bilder. Auf dem Tisch steht eine japanische Teekanne mit weißem Tee.

Während des Gesprächs läuft ununterbrochen ein kleines Radio. „'Voice of America'. Weil ich kann dieses deutsche Gequatsche nicht hören.“ Wir sprechen über Buddhismus – für ihn die modernste Religion; über seinen neuen Film „Hades“, dessen Etat bei lächerlichen 300.000 DM lag; und über „eine gewisse Freundlichkeit, die immer schon zwischen Bayern und Berlinern war.“ Achternbusch, der wie ein Besessener produziert, braucht beim Arbeiten das Gefühl, daß er das nebenbei macht: „Ich möchte unter keinen Umständen was für Geld machen. Da kann man hineinrutschen, ohne daß man's merkt.“

Manchmal steht er auf, um mir ein Bild zu zeigen oder den goldenen Buddha-Ring seines Vaters. Irgendwann klingelt das Telefon. Eine RTL-Frau ist ganz begeistert von „Hades“ und bittet um ein Interview. Achternbusch stöhnt: „Ich hab dann ja kein Gesicht mehr. Muß ich mir ja erst ein neues Gesicht suchen danach.“

Irgendwann kommt seine Frau, die Schauspielerin Judith Tobschall, mit Naomi, seiner sieben Monate alten Tochter vorbei. „RTL ist ein totaler Scheißsender“, sagt sie. „Du brauchst nicht zu denken, daß sie gut über dich sprechen werden.“

Achternbusch spielt mit Naomi. Naomi spielt mit Schokoladenpapier: „Ich hab mal gelesen, daß die deutsche Sprache für Babys klingt wie Papierknistern, weil wir soviel Zischlaute haben. Sie spielt so gerne mit Papier. Da meint sie, es ist die deutsche Sprache. Ich glaube, daß sie eine echte Tibeterin ist. Sie ist immer so freundlich.“ Er schaut auf seine Tochter, die vom Mikrofon irritiert ist: „Erschrick nicht, kleiner Frosch! Ich bin's. Herbert.“

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taz: Der Nationalsozialismus zieht sich ja als Thema durch die meisten Ihrer Filme.

Herbert Achternbusch: Ich bin damit aufgewachsen! Früher hatten wir ein Lied. Das ging: „Steilizi, steilazi, du blutiger Nazi“. Und da hat meine Oma gesagt: „Sei still, sonst kommst du in's KZ.“ Das war Ende der vierziger Jahre. Die hatten ja überhaupt nicht gemerkt, was passiert ist. Unsere Lehrer, das waren doch größtenteils Terroristen, Nazis. Das ist doch nahtlos in unsere Gesellschaft übergegangen. Meine Mutter hat gesagt, daß die Vernichtungsanlagen von den Alliierten nachträglich gebaut worden waren, um den Deutschen eins reinzuwürgen. Mein Vater hat gesagt: Ein jeder hat's gewußt, der es wissen wollte. Mein Vater war seit 1927 bei der SA und ist 1934 nach dem Röhmputsch aus der Partei ausgetreten. Da hat meine Mutter gesagt: „Das ist dein Tod.“ Und da hat er gesagt: „Das möcht ich schon sehen.“ Mein Vater war für mich immer das Beispiel dafür, daß, wer Zivilcourage gehabt hat, auch zurechtkommen konnte. Später hat er sich vor der Wehrmacht gedrückt.

Meine Mutter war Schwimmlehrerin bei „1860 München“ und hat gesagt: „Da war doch ein Jud dabei. Das war mein Unterstellter. Dem hatte ich mal mein Radio gegeben, damit er es wieder richten sollte. Nachher ist es überhaupt nicht mehr gegangen. Der Depp konnte noch nicht einmal mein Radio richten!“ Und damit hat man's abgetan.

Im „Kommantschen“ heißt es: „Deutschland hat dem Hitler seine ganze Liebe gegeben, jetzt hat es keine mehr.“ Im „letzten Loch“ heißt es: „Hitler wollte Gott mit sechs Millionen Juden trösten, aber das war ein Irrtum.“

Das hat ja damals der Stolte, der Chef vom ZDF, persönlich zensiert, das haben sie nicht ausgestrahlt. Da hab ich mich geärgert! Aber man wird immer differenzierter, wenn man darüber nachdenkt. Ich sag nicht mehr pauschal „die Deutschen“.

Am beeindruckendsten an Ihrem Film sind ja die Dokumentarszenen aus dem Warschauer Ghetto.

Die Aufnahmen wurden von SS-Leuten gemacht, um zu zeigen, wie gemein die Juden untereinander sind. Daß sie achtlos an den Leichen vorbeigehen. Die sind ja inszeniert. Wie der eine jüdische Junge ein Brot klauen will, da ist zum Beispiel noch eine Markierung da – ein Stück Holz – damit er weiß, wo er sich hinstellen soll. Ich weiß nicht, ob gerade diese Aufnahmen damals gezeigt wurden. Die haben auch woanders Probeaufnahmen gemacht. Die wollten das ja schrittweise publik machen, um die Unterstützung, wenn nicht sogar die Begeisterung der deutschen Bevölkerung für die Judenvernichtung zu bekommen. Die erste Vorführung von Lagerbildern hatte aber mit Entsetzen geendet. Die Leute hatten Mitleid.

Die Dokumentarszenen in eine fiktionale Handlung einzubauen, also den tanzenden jüdischen Jungen zu fiktionalisieren, Bilder der Massenvernichtung in einem künstlerischen Film zu verwenden, erscheint fast wie ein Tabubruch.

Von der Massenvernichtung zeigt ja der Film keine Bilder. Die trägt der Zuschauer hinein. Es ist ja eine kleine Überlebensgeschichte, egal wie abstrus das ist, daß der Junge im Kamerakoffer entkommt. Das sollte ein Lebenszeichen sein. Ohne „Schindlers Liste“ hätte ich das bestimmt nicht gemacht. Das war natürlich ein extrem schmaler Grat. Da hilft nur die Auswahl; also die Länge, wie's geschnitten ist, was für ein Gewicht die Szene im Film hat. Sagen wir's mal ganz blöd: man muß liebevoll an die Sachen herangehen. Man kann die nicht behandeln wie normales Dokumentarmaterial. Da geht's um Zerstörung. Wir sind ja immer noch gewohnt, das vor einem Mordsbrimborium zu sehen, mit SS-Leuten, Krieg und fahrenden Zügen. Aber stellen Sie sich einmal die Stille vor, wenn die SS- Leute nicht mehr da sind. Die Stille in diesen Lagern. Da waren oft drei-, vierhunderttausend Gefangene, und die waren völlig erschöpft. Die konnten ja nicht einmal mehr schluchzen. Das ist ja sowas von stumm eigentlich, wenn man den Täterlärm wegtut. Der Opferlärm ist ja ganz stumm. Es ist ja ein stummes Sterben eigentlich, wenn sie nicht erschossen werden. Die sind hingegangen, umgefallen, und aus war es.

Bei der Szene hätte man zum Beispiel auch keinen geschulten Sprecher nehmen können. Das muß schon ziemlich privat klingen. Das ist ganz nah aufgenommen. ich hab' ganz leise gesprochen. Ich wollte auch keine Betroffenheitsmusik darunterlegen und hab stattdessen Paganini genommen. Eine Art fröhlicher Beerdigungsmusik, was vielleicht dem jiddischen Geist ein bißchen nahe kommen sollte. Ich bin da sehr vorsichtig. Man wird ja auch sofort angefeindet. Also ich möcht' nicht wissen, was der Herr Lanzmann sagt, wenn der den Film sieht. Ich glaube, der wird mich verfluchen. Der hat ja mal ganz apodiktisch gesagt: „Kein Deutscher soll sich erdreisten, über die Judenvernichtung einen Film zu machen.“

Zwischen die Szenen aus dem Warschauer Ghetto haben Sie eigene Malereien geschnitten.

Ich hab die Bilder genommen, um – wenn ich schon sonst nichts machen kann – die irgendwie wenigstens menschenwürdiger zu beerdigen. Man kann ja nichts anderes machen, als das Gedenken an die armen Menschen zu bewahren und sie vielleicht im eigenen Herz noch einmal zu begraben. Mit Gedanken und mit Bildern – mehr kann man ja nicht machen. Das braucht die menschliche Psyche – der Mensch –, daß seinesgleichen nicht einfach weggeschmissen wird. Das macht man dann für sich selber, weil die Gedanken so unerträglich sind; man versucht wenigstens, die eigenen Gedanken zu trösten. Bilder als Blumen, Herzen oder irgendwas.

Als ich in Auschwitz war, das war das Ergeifendste. Da waren junge Israelis, die haben auf die Fensterbretter Rosen hingelegt. Das war dann so fürchterlich. Und geweint haben sie natürlich. Da konntest du nichts anderes machen als mitweinen. Und da geht dieser Althans her und steht vor dem Bunker im Stammlager Auschwitz 1 und sagt: „Da konnten ja gar keine vergast werden. Da sind ja nicht einmal Abzugsrohre drin.“ – Natürlich nicht. Die Abzugsrohre, das waren die Lungen der Einzelnen. Interview: Detlef Kuhlbrodt