Herr Hades leitet eine Sargfabrik

■ Wer wird heute sterben? Herbert Achterbuschs „Hades“ (Wettbewerb)

Ein Ehepaar wartet an einer Tankstelle auf einen Leichenwagen. Ein junger Automechaniker erschlägt die beiden: der alte Mann wollte das Rauchen nicht einstellen. Die Tankstelle explodiert. „Eine Geschichte, wie sie tagtäglich passiert in Deutschland.“

In „Hades“ geht es um Todesarten, die in ihrem Nebeneinander skandalös erscheinen mögen. Der Held, Herr Hades (Herbert Achternbusch, mit weißem Zopf), leitet eine Sargfabrik. Teilnahmslos, in schwarzem Hemd mit weißen Totenköpfen, sitzt er in seinem düsteren Büro. Zwei junge Mitarbeiterinnen, Ausländerinnen in schwarz-rot-gelb, melden sich am Telefon mit „Todescenter Hades“ oder „Tötungsstudio Hades“. Ein Bruder kommt und nötigt Hades, ihm das Geschäft abzutreten. Hades unterschreibt einen Vertrag, reibt sich die Hände springt um den Tisch herum: „Wieder eine Unterschrift geglückt!“

Nach einer Bombendrohung gegen „das Judenpack“ nimmt Hades sein japanisches Schwert und zieht als Rächer im weißen Trenchcoat, auf dem eine gelbe Teerose leuchtet, in die Stadt, während neben dem Haus etwas explodiert und eine somnambule Gruppe, stumpf immer nur „Deitsch“ rufender Bayern auf einen Kasten Bier zumarschiert. Auch in München marschieren die „Deitschen“. Neonazis jagen eine Ausländerin. Hades bringt sie entschlossen zur Strecke; ein hinterrücks heranfliegender Pflasterstein trifft den Helden am Kopf. Im Sterben erzählt er einem befreundeten Polizisten seine Geschichte.

Dokumentaraufnahmen aus dem Warschauer Ghetto sind als Erinnerungsbilder in Zeitlupe dazwischengeschnitten: Ärmliche Gestalten gehen an achtlos auf dem Gehweg liegengelassenen, ausgemergelten Leichen vorbei. Männer laden Leichen auf Holzkarren. Leichen rutschen in eine Grube. Ihre Körper verrenken sich dabei. Ein kleiner Junge tanzt im Matsch. „Das bin ich“, sagt Achternbusch, „Ismael“. Er hätte getanzt, bis ihm schwarz geworden wäre vor Augen. Seine Mutter heißt Hanna, die Schwester Sarah. Die hätte er geliebt. „Den Namen meines Vaters hab ich mir nie gemerkt.“ Der war in Stalingrad. „Ich liebe die Bilder von unserem Ghetto, denn das bin ich.“ Nur Achternbuschs ruhige Stimme und eine Paganinivariation liegen über den stummen Bildern.

Zwischen die Dokumentaraufnahmen sind Wandmalereien von Achternbusch geschnitten: blaue Strichmännchen, die ein bißchen an Keith Haring erinnern, am Ende zwei Herzen. Kunst, die den Bildern aus dem Ghetto hilflos gegenübersteht. „Gibst Du mir fünf Mark für die Geschichte?“, fragt Hades. Der Polizist will hören, wie's weiterging. SS-Filmer hätten ihn in einem Kamerakoffer aus dem Ghetto getragen. Sein Vater gründete die Sargfirma, die er dann übernahm.

Am Ende des Films steht eine seltsam schöne von meditativer Musik untermalte Super-8-Todesphantasie. Zwei Männer in Lendenschürzen und zwei Frauen stehen auf dem Felsen einer kleinen Insel. „Die Bananen sind aus. Einer muß sterben!“ heißt es auf Bildtafeln, oder: „Wer wird heute sterben?“ – „Ich nicht, ich nicht. Ich bin gestern schon gestorben.“ Unter einem Felsen steht ein Sarg, in den man springen muß. Der Mann, der sterben will, verfehlt ihn: „Du bist daneben. Du bist daneben.“ Zwei nackte junge Frauen gestikulieren wild. Fledermäuse und allerlei Meeresgetier huscht vorbei. „Ich will allein sein auf meiner Insel.“ Weit hat sich Achternbusch von Bayern entfernt. kuhl

„Hades“. Regie: Herbert Achternbusch. Mit Herbert Achternbusch, Thomas Holtzmann, Rosel Zech u.a. Deutschland 1994, 86 Min.

13.2. Zoo-Palast 17.30; 14.2. Zoo-Palast 9.30, Urania 18.30, International 22.30