Darf Leni dabeisein?

Deutsches Kino: Edgar Reitz' „Die Nacht der Regisseure“  ■ Von Mariam Niroumand

Ein heikles Unterfangen: Zu Beginn dieses virtuellen Begegnungsspektakels ist gleich von der „Zweiten Heimat“ die Rede, die uns die filmische Verdoppelung von hundert Jahren deutscher Geschichte bieten könne (das Archiv mit 20.000 deutschen Filmen übrigens, das man zu Beginn bersten sieht, ist das von Leo Kirch). Enno Patalas, Münchener Filmhistoriker, führt in das Shangrila eines jeden Filmfans ein: ein Haus, in dem jeder Film Platz hat, eine Bibliothek, ein Café und natürlich ein riesiger Kinosaal, in dem eben Reitz dann seine über zwanzig Gesprächspartner versammelt hat.

Reitz' „Die Nacht der hundert Regisseure“ ist Teil eines vom British Film Institute bei „Channel Four“ in Auftrag gegebenen Projekts mit 13 internationalen Beiträgen: Scorsese dreiteilig über den amerikanischen Film, Oshima über den japanischen und Agnès Varda über den französischen Film; Jean Luc Godard wird sein Essen mit Piccoli verfilmen, bei dem die beiden erörtern, was es überhaupt zu feiern gibt. Sie werden noch im Februar von „premiere“ ausgestrahlt.

Weil er nie drei Gesprächspartner auf einmal vor die Kamera bekommen hat, sind sich die Leute eben nur virtuell nahe; aber da ist Reitz etwas selten Schönes gelungen. Wenn zum Beispiel Wim Wenders redet, sieht man hinter ihm Hanna Schygulla zuhören, manchmal ein wenig lächeln, aber es wirkt eben immer, als hätten sich alle auch schon in ihrer Arbeit aufeinander bezogen. Und genau darum geht es in diesem Film, weshalb er auch nie zum Museumsstück degenerieren wird: zu erforschen, aus welchen Stoffen der Fond besteht, aus dem deutsche Regisseure geschöpft haben. „Wie deutsch ist es“, heißt die Frage, die die Antworten im Innersten zusammenhält, aber ansonsten streben sie in alle Windrichtungen auseinander. Darf man das machen? Ist es interessant? Darf Leni dabeisein? Ja, ja, ja.

Der der bildliche wie ideelle Kern sind die UfA-Produktionen der dreißiger Jahre, diese „ungeheure, in tausend Rucksäcken mitgeschleppte Sehnsucht“, wie Alexander Kluge sagt, in dessen „Patriotin“ man die Trümmerarbeiten am deutschen Film sieht. Kluge darf auch, ohne daß es den Film im geringsten irritiert, sagen, daß ihn die Bilder im Kino eigentlich oft „eher stören“, für ihn geht es um alles, was polymorphe Bewegungen erlaubt, insofern ist Film für ihn eine Form von Musik.

Kristina Söderbaum in „Immensee“, Zarah Leander in „La Habanera“, Marika Rökk und schließlich Schamoni, der heftig attackiert worden war, als er von den alten UfA-Stars so viele wie möglich noch einmal versammeln wollte. Bevor dieser Bilderbogen aber ins Nostalgische mündet, kommt Wim Wenders, der sich fragt, warum diese Art von Unterhaltung „so wenig kritisch gesehen worden ist“ und konstatiert, daß es seither ein unüberwindliches Mißtrauen zwischen deutschen Bildern und ihrem Publikum gibt. Schnitt, und genau das richtige Bild: Wenders „Paris Texas“, die Flucht aus dem deutschen ins amerikanische Bild, die Juke Box als Insignium unaggressiven Fernwehs.

Dagegen, enorm passend, Margarethe von Trotta: „Ich bin überhaupt das erste Mal mit deutscher Schuld konfrontiert worden, als ich in Paris war; da hieß es plötzlich: du bist deutsch, also hast du damit zu tun.“ Diese hartnäckige Naivität wird mit Hans-Jürgen Syberberg konfrontiert, der schlicht erklärt, nach dem Verlust von Goebbels und Hitlers Filmschaffen hätte der deutsche Film erst einmal am Boden gelegen.

Das Merkwürdige ist, daß es Reitz gelingt, den Nazifilm ins visuelle Zentrum seiner Retro zu stellen: als den Punkt, auf den die Filme davor zuliefen und von dem sie danach auf nicht gänzlich erhellte Weise wegstrebten – und eben auch zehrten. „Die Nibelungen“, „Der müde Tod“, „Der letzte Mann“ tauchen als Schimären, als Vorahnungen auf, als Kassiber, die – bis in die Filme von Herzog hinein – immer weiterbefördert wurden. Nicht einmal ein kurzer Abschnitt über den den deutschen Wald geht schief, der deutsche Film zerfällt unter Reitz' Händen auch wieder in eine Sammlung von Idiosynkrasien, ohne die er ebensowenig leben kann wie irgendein anderes Kino.

Natürlich fehlt alles mögliche, ist die Perspektive münchnerisch und nicht berlinerisch; das heißt der politische Essayfilm, Farocki, Bitomsky und wie sie alle heißen, fehlen, gar nicht zu reden vom Experimentalfilm der Hein, Emigholz, Export. Aber sein Kernstück, die Verbindung von UfA zur DEFA einerseits und zum Neuen Deutschen Film andererseits ist Reitz wirklich wohlgeraten.

„Die Nacht der Regisseure“. B + R: Edgar Reitz. Deutschland 1994, 87 Minuten

13.2. Zoo Palast 14.30, Urania 23.30