Traurigkeit, fast völlig verstummt

■ Erst wenn Du fühlst, verschwinden alle Fragen: "Korridorius" von Sarunas Bartas (Panorama)

Der Film habe englische Untertitel, hieß es am Anfang. Ob das ironisch gemeint oder nur aus Unkenntnis des neuen Films von Šarunas Bartas gesagt worden war, war auch am Ende nicht ganz klar, als die ersten englischen Worte auf der Leinwand erschienen: „Thanks to...“.

Gab sich der 30jährige litauische Regisseur in „Drei Tage“ noch wortkarg, so ist er jetzt fast völlig verstummt. Eine Stunde lang spricht in „Korridorius“ niemand. Danach hört man zumindest ein paar Wortfetzen vorbeiwehen.

Schöne Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Wilnius reihen sich aneinander. Ein Mann blickt traurig aus dem Fenster, ein junger Mann liegt im Anorak auf einer Matratze und raucht, ein kleiner blonder Junge trinkt Wein aus staubigen alten Flaschen. Eine junge Frau betrachtet im Spiegel ihren Körper. Der kleine Junge zündet Bettlaken an. Im Hintergrund hört man ein jüdisches Lied. „Unsre Arme hängen nieder/ unsre Augen blicken traurig.“ (Kafka) Ein bißchen denkt man an Bla Tarr, ein bißchen an Tarkowski, ein bißchen an Artur Aristakisjan, ein bißchen an vergangene und kommende Jahre. Das Haus, in dem die Protagonisten fast starr vor Trauer leben, ist verwüstet, verdreckt, trostlos. Draußen wird der kleine Junge von zwei jungen Männer in Lederjacken immer wieder in einen schmutzigen Tümpel gestoßen; warum, weshalb? Eine Demonstration zieht über eine Brücke ziehen. Wofür, wogegen sie demonstrieren, erfährt man nicht. Das alte Haus bevölkert sich im letzten Drittel des Films. Beeindruckende Gesichter und Gestalten feiern und trinken im Korridor und in der Küche. Eine dokumentarische Kamera, die sich allem Verstehen verweigert, beobachtet das wilde Tanzen, das sich anfassen und wieder loslassen, betrunkene Gesichter, einen Bärtigen, der eine kleine Ewigkeit lang versucht, Gläser auf eine umgedrehte Wodkaflasche zu balancieren, einen Hageren, der zunächst ein imaginäres Orchester dirigiert, später betrunken die drei Öffnungen seines Hemdes durcheinander bringt. Am nächsten Morgen zieht Nebel durch die verlassenen Räume. Schnee liegt auf den Dächern von Wilnius.

In der Diskussion verweigerte sich Bartas konsequent den Fragen nach den Dokumentarsequenzen. Ob es Ausgestoßene, Arme oder Bohmiens wären, die in dem Haus wohnten? „Ja.“ Ob er von Tarkowski beeinflußt sei. „Ich liebe seine Filme. Aber es hat keine Bedeutung.“ „Es gibt keine Symbolik“, sagte Bartas, sein Film repräsentiere nichts. Es sei sehr wichtig, nichts zu erklären, hatte der Regisseur mir vor drei Jahren erklärt. „Das Wichtigste ist, die Zuschauer etwas fühlen zu lassen. Wenn du nicht hungrig bist, kannst du kaum nachfühlen, was es heißt, hungrig zu sein. Du mußt dazu hungrig sein. Dann verschwinden alle Fragen.“ Detlef Kuhlbrodt

„Koridorius“ (Litauen/Deutschland), 79', Regie: Šarunas Bartas

13.2. Colloseum 20.00 Uhr