: An das Fernsehen verkauft
■ Wiktor Grodeckis Dokumentarfilm "Not Angels but Angels" über die Prager Stricherszene dokumentiert vor allem eines - den Verrat seiner Helden (Panorama)
Sie sind kamerascheu. Nervös ziehen sie an der Fluppe. Sie berichten vom schnellen Geld und schönen Klamotten. Von verstorbenen Freunden. Von der Angst vor Aids. Und von den Freiern, die für das phallische Vergnügen ohne Gummi oftmals noch ein paar Scheine drauflegen.
Prags Stricher sind kaum älter als 17 Jahre. Rund 1.000 sollen es inzwischen sein. Ein Dutzend von ihnen hat der polnische Regisseur Wiktor Grodecki vor die Kamera gelockt. Er hat ihnen gesagt, der Dokumentarfilm „Not Angles but Angles“ würde nur im Ausland gesendet. Ein Versprechen, das er nicht gehalten hat. Und damit ist der 35jährige Filmemacher aus Warschau in den Augen der Jungen zum miesesten Freier der Moldau-Metropole avanciert: Es muß ein schockierender Anblick für die Eltern gewesen sein, ihre Söhne in den vergangenen Tagen im Abendprogramm des tschechischen Fernsehens zu sehen. Von ihren Vorlieben und Freuden, Ängsten und Aversionen zu hören. „Das Leben ist tödlich“, sagt der eine. „Es war grausam, gefickt zu werden“, der nächste. „Keine weiteren Fragen“, der dritte. Ihm stehen die Tränen in den Augen.
Gleichwohl zählt im postrevolutionären Prag kaum mehr als harte Devisen. Drei Nächte mit einem deutschen Geschäftsmann bringen den Strichern etwa 4.500 Kronen (ca. 265 Mark); das entspricht dem Monatsgehalt eines Universitätsdozenten.
Grodecki hat zwischen die Wortbeiträge ein paar pornographische Stellungen eingeblendet: Natürlich pubertierende Buben, die onanieren, blasen und Sperma schlucken. Untermalt wird die Fleischbeschau mit klassischer Musik. Nur der Verrat an seinen Protagonisten macht den Film zur Sensation. Denn alles weitere ist längst bekannt: daß Prag ein Eldorado für käuflichen, schwulen Sex ist. Dem Zuschauer bleibt Grodecki die Sichtweise der zahlungskräftigen Freier schuldig, die sich – ähnlich den Heteros in Thailand – wie Neokolonialisten gebärden. Interessanter wäre auch das gewesen: An der Moldau kassieren 17jährige Zuhälter von neunjährigen Strichern gewaltsam ab.
Grodecki schmückt sich mit den Worten, das Kamerateam sei den Jugendlichen während der Dreharbeiten zum Familienersatz geworden. Sein verlogenes Dokumentarfilmverständnis bringt ihnen letztlich nur eines: Seit der Ausstrahlung des Films konzentriert sich Prags Stricherszene auf neue Orte. Und ist damit für beratende Organisationen wie Aidshilfen jetzt viel schwerer erreichbar. Tomas Niederberghaus
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