Schriften zu Zeitschriften
: Retter des Dreiklangs

■ Die „Neue Zeitschrift für Musik“ über Repressionen gegen Musiker

Stehaufmännchen können auch positive Figuren sein. „Pyitaingdaung“ ist der Name einer kleinen, eierförmigen Puppe aus Burma. Wenn man sie umstößt, richtet sie sich sofort wieder auf. Sie ist ein Symbol des Widerstands gegen das Militärregime, das Burma seit 33 Jahren unterdrückt.

„Pyitaingdaung“ ist aber auch der Name einer burmesischen Musikgruppe, die seit vier Jahren im Gefängnis sitzt, weil sie mit ihren Liedern gegen die Diktatur auftrat. Das Schicksal der „Pyitaingdaung Drum Band“ ist ein aktueller Fall der politischen Verfolgung von Musikern – und nur einer von vielen, wie die jüngste Ausgabe der Neuen Zeitschrift für Musik zeigt. Unter dem Titel „Verfemt, geächtet, ausgegrenzt“ finden sich Einzelbeiträge einer Geschichte der Repression auf dem Gebiet der Musik.

Bloß ein „rechtes“ Phänomen ist sie keineswegs. Sowohl Stalinismus wie Faschismus hielten Musik für alles andere als eine unpolitische Kunst. Wie Albrecht Dümling anhand eines differenziert argumentierenden Aufsatzes über die Musikpolitik der Nazis herausarbeitet, sahen deren Ideologen in den Komponisten atonaler Musik „gefährliche Zerstörer unseres volks- und rassemäßigen Instinkts für das Klare, das Reine“ am Werk. Der „jüdischen Atonalität“ wurde vorgeworfen, daß sie den „germanischen Dreiklang“ untergrabe und damit der „Vernegerung der musikalischen Rassegemeinschaft“ Vorschub leiste. Allerdings gab es zwischen derartig perfider Holzhammer- Propaganda und der praktischen NS-Kulturpolitik erhebliche Lücken. Zum Verbot reichte eine dissonante Klangsprache alleine noch nicht. Anderes mußte dazukommen: Etwa, daß der Komponist jüdischen Glaubens war oder daß die „Inhalte“ nicht mit den Nazizielen übereinstimmten. Entsprach dagegen die „Botschaft“ eines Musikstücks der NS-Propaganda, konnte es passieren, daß die Kulturwächter über atonale Klänge hinwegsahen.

Während des Stalinismus wurden Neue Musik und Jazz mit dem Knüppel des sozialistischen Realismus traktiert, die offizielle Kulturpolitik attackierte „formalistische und volksfremde Komponisten“, denen „Entartung“ und „Dekadenz“ vorgehalten wurde. Forderungen wurden laut, diese „Klassenfeinde in der Musik“ als Saboteure vor Gericht zu stellen und ihre Werke zu verbieten. Wenn die Musik „Mund der Revolution“ war, mußten die Kompositionen simpel sein, den Gefühlen und Gedanken des heroisierten „einfachen Arbeiters“ entsprechen.

Eines der vielen Opfer des Proletkults in der Musik wurde der Komponist Nikolai Roslawec, dessen Leben Marina Lobanova detailliert nachzeichnet. Roslawec hatte nach der Oktoberrevolution in der „Assoziation zeitgenössischer Musik“ für die Avantgarde gefochten und die „proletarische“ Kompositionsweise verspottet, was ihm nun zum Verhängnis wurde. Man bezichtigte ihn der „Propaganda für die verfaulte Musikkultur des Westens“ und zwang ihn durch Arbeitsverbot und gezielte Einschüchterung (bis hin zur Morddrohung) zur „Selbstkritik“. Erst 1989 konnte eines seiner Werke aus dem Jahr 1925 uraufgeführt werden.

Mit der Ausgabe „Verfemt, geächtet, ausgegrenzt“ setzt die Neue Zeitschrift für Musik ihr Konzept der Themenhefte fort, mit dem sie vor zwei Jahren einen radikalen Wandel vollzog. Bis dahin war das renommierteste Fachblatt der deutschen Musikpublizistik – es wurde 1834 von Robert Schumann gegründet – hauptsächlich auf neue und neueste Formen der E-Musik abonniert.

Mittlerweile versucht man verstärkt zu berücksichtigen, daß sich auch im Bereich der Musik das „Lagerdenken“ aufgelöst hat, so daß Ethnoklängen, Jazz, sowie Randformen des Pop mehr Raum gegeben wird. Tanztheater und Hörspiel kommen ebenfalls zu ihrem Recht. Darüber hinaus bemüht man sich, nicht nur über Musik zu schreiben, sondern Performer und Komponisten selbst zu Wort kommen zu lassen. So machten etwa im Heft „Frauen & Musik“ (4/1994) Adriana Hölszky und Ruth Zechlin ihren Standpunkt klar.

Von „Dada“ über „Cage- Cunningham-Tudor“ bis zu „Das Schöne & das Häßliche“ reichte das Themenspektrum des letzten Jahres. In Planung befinden sich neben Heften zu „MusikMaschinenMusik“ und „Stimmen“ auch eine Ausgabe, die sich ausschließlich mit „Filmmusik“ befassen wird. Christoph Wagner

Neue Zeitschrift für Musik, Heft 1/95: „Verfemt, geächtet, ausgegrenzt“, Schott's Verlag, Mainz, 13 Mark