Major orientierungslos zwischen den Parteiflügeln

■ Der Rücktritt des Staatssekretärs Charles Wardle schlug ein wie eine Bombe

Dublin (taz) – Die britischen Tories fallen Stück für Stück auseinander. Während Schatzkanzler Kenneth Clarke und verschiedene Kabinettskollegen sich am Wochenende noch gegenseitig der politischen Naivität in bezug auf die Europäische Währungsunion bezichtigten, schlug der Rücktritt des Staatssekretärs im Handelsministerium Charles Wardle ein wie eine Bombe. Wardles Begründung: Großbritanniens Grenzen seien nicht mehr sicher, weil die Europäische Union die Abschaffung der Paßkontrollen erzwingen könne. Die Sonderregelung, auf deren Grundlage man die Einreisenden nach wie vor überprüfe, werde vor dem Europäischen Gerichtshof nicht standhalten. „Wenn die Hintertür in Dover und den anderen Kanalhäfen offengelassen wird, wie die Europäische Kommission das gerne hätte, dann würden unkontrollierbare Zahlen von Menschen hereinströmen“, sagte Wardle, der bis vergangenen Sommer für Einwanderungspolitik zuständig war, dann jedoch ins Handelsministerium versetzt wurde.

Premierminister John Major, der seit Monaten orientierungslos zwischen Eurofans und Eurogegnern herumirrt und mit ständigen Wendemanövern in beiden Lagern seiner Partei für Mißtrauen sorgt, verstand gestern die Welt nicht mehr: „Es tut mir leid, daß du deinen Rücktritt für notwendig hälst, obwohl zwischen uns keine Meinungsverschiedenheit über die Ziele der Regierung oder politische Grundsätze herrscht“, schrieb er an Wardle, „aber unter diesen Umständen nehme ich deinen Rücktritt natürlich an.“

Für die Eurogegner bei den Tories war der Rücktritt ein gefundenes Fressen. Wardle habe völlig recht, sagten Bill Cash und Christopher Gill, die informelle Sonderregelung für Großbritannien sei „das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben steht“. Der frühere Innenminister Kenneth Baker stieß ins selbe Horn. Er war „schockiert“, als er herausfand, daß „die Erklärung wertlos“ sei. „Baronin Thatcher hätte die Europäische Einheitsakte nicht unterschrieben, wenn sie gewußt hätte, daß sie damit die Kontrolle über Großbritanniens Einwanderungspolitik hergibt“, meint Baker.

In Brüssel hat der Tory-Zwist für Verblüffung gesorgt. Dort hatte man den Streit um britische Grenzkontrollen erst in ein paar Jahren erwartet. Die britische Regierung hat sich bisher auf den Artikel 7a der Europäischen Einheitsakte berufen, wonach die Mitgliedstaaten berechtigt seien, die „ihrer Ansicht nach notwendigen Maßnahmen zum Zweck der Einwanderungskontrolle und der Bekämpfung des Terrorismus zu ergreifen“. Zwar hatte EU-Kommissar Martin Bangemann 1992 erklärt, die Kommission werde „wie ein Löwe für das Ende der Grenzkontrollen kämpfen“, doch seine KollegInnen verschoben den Streit, bis der „Schengener Club“ funktionstüchtig sei.

Das Schengener Abkommen, das die Festlandstaaten der EU mit Ausnahme Dänemarks und Österreichs unterzeichnet haben, soll die EU-Grenzen nach außen gegen ImmigrantInnen sichern. Wegen Problemen mit dem Zentralcomputer kann jedoch mit der Umsetzung des Abkommens frühestens in einem Monat begonnen werden. Ralf Sotscheck