Robin Hoods for Children's Books

■ Bremer Buchlese (4): Mit etwas Lobby könnte Oldenburg ein Leipzig oder gar ein Frankfurt der Kindermedien werden

Lesen und Computerspielen in der Oldenburger Weser-Ems-Halle. Vielleicht ein „Phone- und Videoland“, dazwischen tagt der Fachkongreß. Es mag futuristisch klingen und würde dem ehrenwerten „Koordinationsrat“ der Oldenburger Kinder- und Jugendbuchmesse (Kibum) wohl ein bißchen zu weit gehen. Doch wird in der Tat in Oldenburg über die Zukunft der Kibum nachgedacht, von der Stadt, von der Universität, von der Stadtbibliothek. Sie alle koordinieren und veranstalten die Messe, die letztes Jahr ihren zwanzigsten Geburtstag gefeiert hat, die einzige ihrer Art in Deutschland. Der Kibum-Rat überlegt verstärkt die Integration von neuen Medien. Ein Vertreter der Stadtbibliothek: „Wir müssen nur aufpassen, daß wir da nicht die Kontrolle verlieren und in blinden Aktionismus geraten.“

Auf der Kibum werden jedes Jahr im November die neu erschienenen deutschen Kinder- und Jugendbücher gezeigt. Die Stadtbibliothek präsentiert sie im Kulturzentrum PFL in Regalen und Wühlkisten, und erwägt jetzt, eventuell mal ein farbiges Tuch von der Decke abzuhängen, um „kindgerechter“ zu werden. „Was wir aber bräuchten, ist ein Kinderbuchspezialist, ein Soziologe oder Psychologe, der uns zum Beispiel endlich mal erklären kann, warum vor allem Mädchen lesen“, sagt dazu Hans-Dietrich Raapke, Pädagogikprofessor an der Oldenburger Uni. Seit zehn, fünfzehn Jahren versucht er, das Thema Kinderbuch in der Wissenschaft in Gang zu bekommen und aktuell zu diskutieren. Eine Verbesserung, Vergrößerung, Verbreiterung der Kibum gehört für ihn mit dazu, aber auch schließlich und endlich die Einrichtung einer Kinderbuch-Forschungsstelle an der Uni.

„Das Forschungsobjekt ist da, es braucht nur ausgewertet und belebt zu werden.“ Hermann Havekost, der Leiter der Uni-Bibliothek, sieht die Kinderbücher vor seiner Nase brachliegen. 30.000 Bände – die von den Verlagen geschickten Belegexemplare aller Messen – sind in der Uni archiviert, das heißt, sie stehen rum, wenn nicht gerade wieder mal Professor Hans-Dietrich Raapke ein Seminar in Sachen Kindermedien auf den Weg gebracht hat. Für die Forschungsstelle hat Hans-Dietrich Raapke schon an vielen Türen um Förderung angeklopft; er hält es jedoch inzwischen für weitaus schwieriger, Personen für das Projekt zu bekommen, als das leidige Geld.

Kinderbuchforschung ist selten, aber nicht neu – sie hatte ihre Blüte in den 20er Jahren. Doch anders als in den Kinderbuchinstituten in Köln oder Frankfurt will man sie in Oldenburg umfangreicher und fächerübergreifend angehen. Hans-Dietrich Raapke: „Warum wird immer nur von der Literaturschiene aus das Pferdebuch für Mädchen und der Perry Rhodan-Krimi für die Jungs analysiert? Wir brauchen eine geschlechtsspezifische Untersuchung des Lesens aus der Lebenswelt der Kinder heraus.“ Vorsichtig bewegt man sich darauf zu: Für 1996 ist die Sonderschau „Lesen oder was?“ (so der Arbeitstitel) geplant. Pubertierende (nicht-lesende) Jungs zwischen 12 und 16 und ihr Medienkonsum werden der Gegenstand sein.

Die Schau wird von der Uni organisiert und soll die Kibum begleiten, wie es seit jeher Tradition ist. Ausstellungen wie „Von Penny Dreadful zum Comic“ (1981) oder „Helden nach Plan? – Kinderliteratur der DDR“ (1993) sind zwischenzeitlich auch nach London, Wien oder Groningen gereist und bringen Oldenburg langsam aus der Provinzialität heraus. Dieses Jahr wird der Deutsche Jugendliteraturpreis der Bundesregierung auf der Kibum verliehen; das darf als kleiner Erfolg verbucht werden. Hans-Dietrich Raapke aber, der Kinderbuch-Robin-Hood, will noch mehr und mit einem Kinderbuchforschungspreis die Blicke der Fachwelt ins Weser-Ems-Land lenken.

Einstweilen treibt Hermann Havekost an der Unibibliothek die überregionalen Kontakte voran: Mit Jugendbibliotheken in der Schweiz und in Österreich arbeitet er am Aufbau einer Datenbank deutsch-sprachiger Kinder- und Jugendliteratur. „Das ist die Produktivität, die wir brauchen“, attestiert Hans-Dietrich Raapke. Den naheliegendsten Pool für seine Forschung, die Kinder selbst, hat der „Robin Hood“ dabei gerade noch so im Visier: Er will den Wettbewerb „Kinder schreiben für Kinder“ reaktivieren. Der NDR hatte vor Jahren die besten Beiträge davon gesendet; 20 bis 30 wurden in Mini-Heftchen verlegt und für eine Mark verkauft. „Ich suche wieder ein Sponsoren- Medium dafür.“

Silvia Plahl