piwik no script img

Die Reinkarnation des Satans

■ Jens Z. klaute zwei Samurai-Schwerter und enthauptete seinen Stiefvater / Er fühlte sich von bösartigen Energien bedroht / Angeklagter in die Nervenklinik

Mit leiser Stimme erzählt der bullige Angeklagte mit dem kahlrasierten Schädel, wie er mit den beiden Samurai-Schwertern den 85 Jahre alten Heinz Sch., seinen Stiefvater, enthauptet hat. Die scharfen Schwerter hätten allein nicht ausgereicht, da mußte er ein Küchenmesser zu Hilfe nehmen, um den Kopf vom Rumpf zu trennen. Den Kopf des Stiefvaters stopfte er in eine Plastiktüte und ging damit zum Tegler Fließ. Dort warf er ihn ins Wasser.

Was irritiert: Der Angeklagte hat eine überaus sanfte Ausstrahlung. Dem etwas dicklichen, behäbigen Mann würde man einen solchen Amoklauf gar nicht zutrauen. Ohne ersichtlichen Grund und ohne erkennbaren Anlaß betrat Jens Z. am 28. Januar einen Otto- Boenicke-Laden in Reinickendorf und ließ sich dort zwei der ausgestellten rasiermesserscharfen Samurai-Schwerter zeigen. Dann nahm er die Waffen, ohne zu zahlen, an sich und verließ den Laden.

Einige Zeugen nahmen seine Verfolgung auf. Sie wurden, sobald sie in seine Nähe kamen, mit der blanken Waffe bedroht. Jens Z. entkam nach Hause, in die Wohnung seiner Mutter, wo sich sein 85jähriger Stiefvater aufhielt. „In Tötungsabsicht“, so die Anklageschrift, habe er seinem Opfer dann etwa zwanzig Hieb- und Stichverletzungen zugefügt, bevor er ihm schließlich den Kopf und einen Unterschenkel abtrennte. Dabei sei er, so heißt es in der Anklageschrift weiter, während des gesamten Tatablaufs von „inneren Freunden“ geleitet worden, die ihm eingeflüstert hätten, was er zu tun habe. Auf die mitfühlende Frage der Vorsitzenden Richterin, warum er der Leiche noch Löcher in den Rücken gestoßen habe, antwortet er: „Ich mußte sicher sein, daß seine Seele nicht in mich übergeht.“

Jens Z. wirkt leicht benommen. In der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, in der der 25jährige arbeitslose Mann untergebracht ist, geben ihm die Ärzte Psychopharmaka. Inzwischen fühlt er sich nicht mehr bedroht, kann über seine damaligen Ängste reden. Daß er seinen Stiefvater für die Reinkarnation des Satans gehalten habe, kommt ihm offensichtlich selbst absurd vor. Er räumt ein, daß er der Polizei nur deshalb erzählt habe, MTV in seinem Kopf empfangen und innere Stimmen gehört zu haben, um nicht in die Haftanstalt zu kommen. Seine vor Gericht gemachten Angaben, zur Tatzeit stark alkoholisiert gewesen zu sein, konnten die medizinischen Gutachter nicht bestätigen. Auch Hinweise auf die Einnahme anderer Drogen oder Medikamente blieben unbestätigt.

Laut Anklagevertretung litt Jens Z. zur Tatzeit an einer schuldausschließenden, psychosebedingten wahnhaften Verkennung der Realität, so daß die Verurteilung wahrscheinlich auf eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik hinauslaufen wird. Nach Auskunft der Ärzte befindet sich der junge Mann allerdings bereits wieder auf dem Wege der Genesung. So besteht die Hoffnung, daß Säbel-Jens bald wieder die Auslagen der Otto-Boenicke-Läden bestaunen kann.

Der Prozeß wird am Donnerstag fortgesetzt. Peter Lerch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen