: Derwische, Chaos und Körperlagen
3 von 7: Zwischenbericht vom internationalen „Tanz-Winter“ im Hebbel-Theater ■ Von Michaela Schlagenwerth
Erzürnte Götter, Kanalarbeiter und Stars aus vergangenen Zeiten: im Hebbel- Theater läuft der Tanz- Winter auf vollen Touren. Drei von ingesamt sieben Kompanien zeigten inzwischen ihr Programm. Die in Paris lebende Italienerin Francesca Lattuada kam mit „Les dieux sont fÛchés“ und der ebenfalls in Paris lebende Brite Mark Tompkins mit „Channels“.
Das Nederlands Dans Theater 3 präsentierte sechs kleine Stücke: Choreographiert von sechs der bedeutendsten Choreographen der Welt, handelt es sich zweifellos um ein Unternehmen von einigem Gewicht. Nicht zuletzt, weil die Choreographien den ehemals ganz großen und eigentlich schon von der Bühne abgetretenen Stars des NDT auf den Leib geschrieben wurden. Davon wird noch zu reden sein, doch zunächst zu Francesca Lattuada. Die wollte eigentlich ein Stück zu Italo Calvinos phantastisch-philosophischem Roman „Der Baron auf den Bäumen“ kreieren, doch eine Indienreise und die intensive Auseinandersetzung mit dem traditionellen indischen Tanz kam dazwischen. So erhielt das Stück ein neues Thema: die religiöse Dimension des Tanzes. Tanz in Indien hat eine mehr als zweitausendjährige Tradition. Traditioneller indischer Tanz versteht sich als Religion, Gebet zu den Göttern. Das gilt bis heute, verfügt aber in einer säkularisierten Weltkultur nicht mehr über die alte Kraft.
Dessen ist sich natürlich auch Francesca Lattuada bewußt. Sie verarbeitet Traditionen (nicht nur die indische) auf höchst eigenwillige Weise. In „Les dieux sont fÛchés“ gehen die Tanzsprachen der Welt eine bunte Symbiose ein: Zwei Tänzer und vier Tänzerinnen kreuzen die Tanzgebete Indiens mit Flamenco, mit Modern Dance, Commedia dell'arte und dem Wirbeltanz der islamischen Derwische. Tradition fristet hier kein trübes folkloristisches Dasein, sondern wird als überbordendes, in dämmrigem Licht gehaltenes Spektakel zu neuem Leben erweckt. Während zwei Tänzer-Derwische durch ihr unaufhörliches, gleichbleibendes Kreiseln die Zeit anzuhalten scheinen, jagen die Frauen als Slapsticks über die Bühne. Ein leidenschaftlicher Flamenco wird von zwei weiblichen Clowns konterkariert, in barocken Brokatkostümen werden Nummernrevuen gegeben und in traditionell indischer Bühnenaufmachung rote Rosen verspeist und ekliger weißer Schleim gekotzt.
Das Stück, das zunächst in lauter Einzelteile zu zerfallen droht, verdichtet sich zu einer bunten, im Verdämmern begriffenen Zirkuswelt, in der die vergessenen Riten und Traditionen wild durcheinanderwirbeln. Francesca Lattuada bedient sich aus dem Arsenal verschiedenster Kulturen, ihre Figuren scheinen entlegenen Winkeln unserer Phantasie zu entstammen – von der Choreographin ins Dämmerlicht der Bühne geholt, damit sie uns ihr merkwürdiges Schattendasein vorführen. Die Götter sind wütend. Am Ende treten die Tänzer-Götter laut singend an die Rampe und scheinen dem Auditorium zu drohen: Uns vergißt man nicht umsonst.
Mark Tompkins schlägt mit seiner Choreographie völlig andere Wege ein: „Channels“ ist ein Wechselspiel zwischen funktioneller Arbeitsbewegung und freiem Tanz. Die Truppe wirkt homogen und ausgesprochen sympathisch – aber leider tanzen alle gleichermaßen schlecht. Dabei ist „Channel“, in dem die Bühne mit Bau- und Straßenverkehrszeichen bevölkert wird, die, in immer neuen Ordnungen aufgestellt, schließlich heilloses Chaos erzeugen, als Raumchoreographie durchaus überzeugend. Es fehlt allein die angemessene tänzerische Potenz.
Setzt Mark Tompkins auf betont unelegante Post-Punk-Ästhetik, so orientieren sich die Choreographien des Nederlands Dans Theater 3 an einem klassisch modernen Bewegungsvokabular. Ungewöhnlich ist vor allem das Konzept des Theaters: Das NDT 3 sei mehr eine Idee als ein Ensemble, sagt der künstlerische Direktor, Jiry Kylian. Hier sind Tänzer zu sehen, die zu alt sind, um noch in der regulären Kompanie mittanzen zu können. Ein Problem, das sich vor allem beim klassischen (aber auch beim modernen) Tanz stellt: Mit spätestens vierzig Jahren muß man die Tanzschuhe an den Nagel hängen – dafür sorgt nicht nur die nachlassende körperliche Energie, sondern auch ein falsches jugendliches Schönheitsideal.
Beim NDT 3 waren auf höchst unterschiedliche Weise alle sechs Stücke Reflexionen über das Altern, am humorvollsten und interessantesten bei den beiden jüngsten Choreographen: Ohad Naharin und Paul Lightfood. Zu Straußschen Walzerklängen läßt Naharin die Kulisse in sich zusammenfallen – gleiches tun in verschiedensten Variationen Sabine Kupferberg und Gary Christ mit ihren Körpern. Sie liegen in Geraden und Diagonalen, nebeneinander und aufeinander, versuchen sich in akrobatischen Übungen und wiegen sich hockend zu den Walzerklängen. Greise oder Kinder? kann man da fragen – und muß, der Höflichkeit halber, dazu sagen, daß die Tänzer die 45 kaum überschritten haben.
In Paul Lightfoods Choreographie „Susto“ gehen vier Tänzer zu pathetischen Schicksalsklängen aus Beethovens Fünfter Sinfonie im Zeitstrom baden: Eine unaufhaltsam rieselnde Sanduhr gießt aus dem Schnürboden einen mächtigen Sandstrahl auf die Bühne, dem sich die in schlabbriger Unterwäsche gekleideten vier Tänzer in verschiedensten Gefühl- und Körperlagen hingeben.
Der „Tanz-Winter“ wird fortgesetzt mit Joachim Schlömers „Orestie“ aus Weimar, 16./17.2., 20 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg
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