■ Zum Waffenstillstand im Tschetschenien-Krieg
: Jelzin, Wodka und Kalaschnikows

Werden die russischen Soldaten nun zu Partisanen? Werden sie in der Nacht durch Flüsse schwimmen, die Berge des Kaukasus erklettern, mit ihren leichten Kalaschnikows die Großstadt Argun angreifen? Oder dient der nun in Kraft getretene tschetschenisch-russische Waffenstillstand für schwere Waffen der schon lange anstehenden Reparatur der russischen Panzer? Anders gefragt: Unzählige Male sind die tschetschenischen Angebote, über einen Waffenstillstand zu verhandeln, von Moskau zurückgewiesen worden. Warum also gerade jetzt dieses Abkommen?

Neun Wochen dauert der Tschetschenien-Krieg inzwischen, in der vergangenen Woche kam es zum erstenmal zu einer Zäsur. Die Hauptstadt Grosny konnte von der russischen Armee erobert werden. Aber wer Grosny hat, hat nicht das ganze Land, drei der fünf Provinzen stehen weiterhin unter der Kontrolle der Tschetschenen. Bevor der Kreml den russischen Soldaten nun jedoch den Übergang in die nächste Kriegsphase – die Eroberung der Städte Argun und Gudermes – befehlen kann, steht auf dem russischen Programm ein allzu wichtiger Termin: die immer wieder verschobene Rede Boris Jelzins zur Lage der Nation. Nun haben die Berater des Präsidenten sowieso schon alle Hände voll zu tun, um den alkoholisierten Landesvater auf den Beinen zu halten. Fernsehbilder von verbrannten und verwesenden russischen Soldaten in Grosny würden die erwartete Beschwörung des russischen Reformprozesses nur weiter trüben. Also weg damit: Zweitwichtigster Bestandteil des Abkommens sind der Austausch der Gefangenen und der Abtransport der Gefallenen.

Da stellt sich natürlich die Frage, ob die russischen Soldaten und Offiziere den Wünschen des Präsidenten folgen werden. Die Interessenlage ist hier durchaus nicht einheitlich. Das haben auch die Moskauer Unterhändler erkannt; der Waffenstillstand wurde deshalb vorsorglich – Erfahrungen aus Bosnien dürften durchaus eine Rolle gespielt haben – auf schwere Waffen begrenzt. Eine solche Kontrolle trauen sie den ihnen nahestehenden Generälen immerhin zu. Zumindest bis Freitag könnte das Abkommen so halten. Dann ist Jelzins Rede bereits Vergangenheit.

Laut Iswestija gibt es freilich für die Russen noch einen weiteren Grund, den Waffenstillstand nicht auf leichte Waffen auszudehnen. Da russische Soldaten sich demnach im angetrunkenen Zustand mit ihren Kalaschnikows auch mal gegenseitig beschießen, könnten solche Schußwechsel von den Tschetschenen als Bruch des Abkommens verstanden werden. Einfacher wäre es da freilich, den Soldaten den Wodka wegzunehmen. Sabine Herre