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Mehr Sonne für Rußlands Luftwaffe

Der Waffenstillstand zwischen Rußland und Tschetschenien wird von den meisten Beobachtern skeptisch bewertet / Druck des Muftiates auf Dudajew / Kämpfe gehen zunächst weiter  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Dem zeitlich nicht näher definierten Waffenstillstand, der am Montag zwischen den Truppen des russischen Innenministeriums und den separatistischen Streitkräften des tschetschenischen Generals, Dschochar Dudajew vereinbart worden war, begegneten die Moskauer Kommentatoren gestern mit Vorsicht. In der russischen Öffentlichkeit herrschen Zweifel an der Tragfähigkeit des Abkommens. Die Informationsabteilung des russischen Innenministeriums gab zu, daß Aufklärungsflugzeuge und Artillerie in den ersten 24 Stunden nach Abschluß des Waffenstillstands Rußlands Streitmacht „Deckung gewährten“. Diese würden weiterhin gegen „illegale bewaffnete Formationen“ im Bereich der südlich von Grosny gelegenen Städte Novopromyslovsky, Alkhan-Kala und Argun vorgehen. Sketisch zeigte sich auch der russische Spionagechef Sergej Stepaschin. Die Waffenruhe würde nur den Tschetschenen nutzen, sie könnten ihre Stellungen weiter ausbauen.

Der inguschetische Vize-Präsident Boris Agapow, der das Abkommen vermittelt hatte, präzisierte, es beziehe sich auf Bombardements durch Artillerie, Raketen und einige Arten von Granatwerfern.

Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums kündigte immerhin an, daß man am heutigen Mittwoch über eine Erweiterung des gegenwärtigen Stillhalteabkommens auf weitere Waffenkategorien reden wolle. „Wir haben den Befehl zur Feuereinstellung gegeben, aber wir können nicht kontrollieren, ob er auch durchgeführt wird“, sagte seinerseits der Führer der tschetschenischen Streitkräfte, Aslan Maschadow, Reportern. Er berichtete, General Dudajew habe ihn lediglich bevollmächtigt, „über rein militärische Fragen“ zu sprechen.

Der Pressedienst der Regierung der russischen Föderation verbreitete gestern die Nachricht, Dudajew habe sich zu dem Kompromiß einzig und allein in Folge des Druckes der Geistlichen der tschetschenischen Republik bereitgefunden. Die Meldung gibt einen Aufruf des Muftiates wieder, der am 11. Februar von Repräsentanten vieler Städte und Dörfer der Republik gebilligt worden sein soll. Darin werden die tschetschenischen Kämpfer aufgefordert, die Waffen niederzulegen, und es heißt: „Wir unsererseits werden alles in unserer Kraft stehende tun, damit das Volk und die Regierungsstrukturen eure Sicherheit gewährleisten.“ Außerdem gab es in letzter Zeit immer wieder Berichte, daß die Bevölkerung tschetschenischer Dörfer die Kämpfer Dudajews zum Weggehen aufforderte, um ihr Dorf nicht zu gefährden.

Bill Clinton telefoniert mit Boris Jelzin

Zumindest emotionaler Druck wurde auch auf die russische Seite ausgeübt. So hatte US-Präsident Clinton am Montag seinen russischen Kollegen Jelzin angerufen und auf eine baldige friedliche Regelung des Tschetschenien-Konfliktes gedrungen. Clinton nahm den Hörer in die Hand, nachdem er von den laufenden Verhandlungen erfahren hatte, erwähnte in dem zwanzigminütigen Gespräch die Waffenstillstandsverhandlungen allerdings nicht direkt. Er regte einen Friedensprozeß in der Tschetschenien-Frage unter dem Dach der OECD an.

Als einzige Moskauer Tageszeitung kommentierte die Segodnja den Waffenstillstand. Der bekannte Militärexperte Pawel Felgenhauer erklärt ihn als Anlaufnehmen beider Seiten, um den Krieg besser fortsetzen zu können: „Nach der Einnahme Grosnys brauchen beide Seiten eine Atempause. Außerdem nimmt sich nach dem Sieg in Grosny ein Waffenstillstand weniger schändlich für unsere Truppen aus, und die internationale und vaterländische Gesellschaft wird sich ein wenig beruhigen. Inzwischen rücken mit dem Frühling mehr sonnige Tage heran — also bessere Einsatzbedingungen für die Luftwaffe.“

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