Als die Kälte kam

■ Bremerhaven : „Frostnacht“- Premiere erzählt von Inzest und sexueller Gewalt

Der Spielort: Ein ehemaliger Pferdestall, heute Kulturraum zwischen Kacheln und Trögen. Die Bühne ist ein schlichtes Podest. An einem Küchentisch sitzen Vater und Tochter. Sie ist nervös, verkrampft, unberechenbar aggressiv. „Himmelarsch, verdammte Scheiße“, schreit Maria den Vater an, der ihr ein Messer aus der Hand nehmen will. „Was brauchst du das Messer?“ fragt er. Sie antwortet: „Um mir den Hals abzuschneiden.“ Ein gefährliches Geheimnis steckt in Marias Körper. Wenn sie es nicht rausläßt, droht sie zu ersticken.

Sexuelle Kindesmißhandlung in der Familie, Inzest, ist das Thema von „Frostnacht“, das der schwedische Kinder- und Jugendtheatermacher Staffan Götestam vor 10 Jahren geschrieben hat. Das Stadttheater Bremerhaven hat das selten gespielte Stück jetzt ausgegraben, um gezielt Jugendliche anzusprechen. Unter der Regie von Luana Ihlenfeld gelingt es den fünf DarstellerInnen, das familiäre Dickicht aus Lügen, Heimlichkeiten, Verstellungen so zu beleuchten, daß die Wahrheit unaufdringlich ans Licht kommt.

„Frostnacht“ zeigt keine spektakulären Enthüllungen, es zeigt die schweren Folgen des Mißbrauchs, die Qual des Verschweigens. Überzeugend spielt Ingrid Müller-Farny die unberechenbare Maria, die sich auf ihr Tagebuch zurückzieht und bis in die gefrorene Körperhaltung hinein alle Kontaktversuche verweigert. Die gutherzig-naive Mutter (Christel Leuner), der etwas törichte Freund (Martin Kemner), die vor Verständnis überfließende Therapeutin (Antonia Gottwald) - Maria läßt sie nicht an sich heran. Zwiespältig verhält sie sich dem Vater gegenüber. Der versucht abends an ihrem Bett, an alten Zeiten anzuknüpfen, als er der Onkel Winter war und mit dem Märchenbuch zu ihr unter die Decke kroch. Dieser Vater ist ein schwitzender, bigotter Koloß. Hinter seiner kruden Begierlichkeit zeigt er einen hilflosen Kleinbürger, der sein letztes Quentchen Macht in den tödlichen Banden der Familie auslebt. Nach einem schwerfälligen Anfang entwickelt das 90-minütige Kammerspiel im hautnahen Ambiente des Pferdestalls eine überraschende Intensität, die mit der Schlußszene ihren Höhepunkt erreicht: Hier bricht aus Maria alles heraus, und endlich kann sie sagen, wer Onkel Winter war und die Frostnacht über sie ausgebreitet hat. Hans Happel

Weitere Aufführungen am 15.2., 28.2., 1.3. u. 2.3. jeweils 19.30 Uhr