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Wintersonne

■ „Baby I will make you sweat“ (Forum): Ein Gespräch mit Regisseurin Birgit Hein

Nur alle Jubeljahre einmal stellt sich im Kino das delirante, nicht so recht zum Kritikerhabitus passende Gefühl ein, von etwas wie der reinen Wahrheit überwältigt zu werden. Etwas, um das es in allen anderen Filmen auch geht, das aber nie so genau gesagt wird. „Baby I will make you sweat“ beginnt mit zuckenden, grobkörnigen Bildern von einer deutschen Schneedecke, die aus dem Zug aufgenommen wurden — ein mehrdeutig konnotiertes, aber bleiernes Bild. Die ersten, von Hein selbst auf den Hintergrund eines gewissen Dröhnens gesprochenen Sätze, machen einen — das spürt man auch im Kino, wenn man vorsichtig die Nachbarinnen beäugt — entweder zum Freund oder zum Feind. Nüchtern wird festgestellt: „Ewig allein, ewig keinen Sex. Mein Körper und ich passen nicht mehr zusammen. Wie soll das weitergehn. Ein Liebesfilm im Kino bringt mich zum Heulen. Ich lese Kontaktanzeigen.“

Durch das weiße Dröhnen bricht ein bißchen was Grünes, Sonnenbeschienenes; sie hat am Donnerstag für den kommenden Montag einen Flug nach Jamaica gebucht. Hoho! Spürte man es da im Kino grinsen, Jamaica, wie? Ficki-ficki, was? Ja genau. Von schmuddelig gelben Aral-Tankstellen, den ersten vorbeihastenden schwarzen Männern und dem Holiday-Inn geht die High-8- Reise durch Straßen am Rande des Nervenzusammenbruchs, zu Liebesnächten und kurzen, nicht unfrohen Blicken aufs Meer. Joe und schließlich Ron tauchen auf. Ein mir unbekanntes Blau ist zu sehen. Ein visueller Panzer nach dem anderen fällt. Irgendwann, nach etlichen Nächten, ist dann sogar wieder Platz für Jamaica, für Wahlen ohne Urnen, nächtliche Whiskey-Exzesse, eine Totenwache.

Zwar gibt Hein als einen Impuls D. H. Lawrences „Lady Chatterly“ an, aber das Phallisch-Zivilisationskritische fehlt; sie ist viel mehr unterwegs in eigener Sache. Wie schon in ihrem letzten Film, „Die unheimlichen Frauen“, operiert Hein an den Grenzen dessen, was „linke“ Körperästhetik noch nie über sich selbst wissen wollte und sich auch selten genug zu fragen traute. Pinkelnde, Erregungssäfte absondernde Mösen wurden mit Bildern von weiblicher Aggression verbunden, und ich habe gestandene Splatterfilmanhänger bleich und eilig aus dem Kino hasten sehen — eine Erinnerung daran, daß das Weibliche und der Horror im System Ubw und Ukw engstens beieinanderliegen.

Die 1942 in Berlin geborene Birgit Hein war bis vor einigen Jahren vor allem als Teil der Produktionseinheit Wilhelm und Birgit Hein ein Begriff (mit dem sie seit 1968 Filme wie „Rohfilm“, „Strukturelle Studien“ oder „Love Stinks“ machte) und dadurch, daß sie in Köln der Experimentalfilmszene überhaupt ein Forum verschaffte. Seit 1990 ist sie Professorin für Film und Video an der Kunsthochschule in Braunschweig.

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taz: Warum gerade Jamaica?

Birgit Hein: Ich wußte, ich muß weg, raus. Ich habe überlegt: wo kann ich hinfahren, wo dicke weiße Frauen nicht gleich als aggressiv angesehen werden.

Sie sind doch aber überhaupt nicht dick.

Ich war es aber. Ich war damals dreißig Pfund schwerer, nach der Trennung von meinem Mann Wilhelm Hein, nach fünfundzwanzig Jahren Ehe — was macht man? Ich habe halt gefressen. Ein weiterer Punkt war: Wohin kann ich alleine reisen?

Klar: In einem arabischen Land hätte das alles nicht funktioniert; die mögen auch dicke Frauen...

Aber nicht so gern, wenn sie alleine reisen... Es hieß also dann Karibik, Montag früh; ich packte die falschen Klamotten ein, ein paar Shorts, ein paar Hemden und los. Erst wollte ich noch eine feste Adresse, deshalb das Holiday-Inn. Dann bin ich aber mit den Minibussen durchs Land, wo man in diesen Gästehäusern wohnt, in denen man sich eben außerhalb der Touristen-Ghettos und der Wasserfälle und so bewegen kann.

Von den Bildern her hat man den Eindruck, daß etwas in Fluß gerät — diese stockende Schneelandschaft am Anfang, dann die ersten nächtlichen Holiday-Inn- Parties, die Tankstellen, dann immer mehr Arme, Beine, Lokomotion... War das der Effekt des Körpergefühls, das sich einstellt, wenn man glaubt, die Wahl zu haben?

Kann gut sein. Für europäische Frauen ist das jedenfalls eine wahnsinnige Situation: Hier kann ich auch mit fünfzig noch einen Mann wählen, und es wird mir nicht übelgenommen. Bei uns muß man ja doch – ob wir das nun zugeben oder nicht – selbst wenn man sich jemanden wünscht, warten, was passiert.

Selbst wenn Frauen flirten, müssen sie es mit niedergeschlagenen Augen tun, mit einer Trickkiste. Vor der Trennung habe ich mich dafür gar nicht interessiert; ich wußte nicht mehr: Wie macht man das überhaupt? Dieses „Wählen- Können“ in Jamaica war auch eine kleine Rache.

Sie sagen, „Lady Chatterly“ war ein Impuls für Sie...

Ja, aber vor allem eben auch Maryse Holder, eine amerikanische Literaturprofessorin, die in den siebziger Jahren in Mexiko den weiblichen Macho rausgekehrt hat und schließlich an Alkohol und Drogen zugrundeging. Die Frauenbewegung hat ihr Buch und den Film „Winter Tan“, der daraus entstanden ist, immer sehr abgelehnt. Mich interessiert auch diese Camille Paglia. Die hat als erste gesagt, sie will eine Verbindung von Freud und Frazer, einem Ethnologen, und genau das war mein Thema in „Die unheimlichen Frauen“, wo es um Menstruation, die Rolle von Göttinnen, SS- Frauen, meine Mutter und so weiter ging, um weibliche Aggression und die Angst vor dem Weiblichen.

„Die Wahl haben“, heißt das, man wird ein wenig grob?

Nein, das funktioniert dann auch nicht. Sobald man, wie ich jetzt, in irgendeine Form von Beziehung eintritt, ist alles wieder beim alten. Die Männer dort sind sehr sensibel, die Lesart für solche Beziehungen ist, daß man verliebt ist und sich zufällig kennengelernt hat. Prostitution kommt in diesem Diskurs nicht vor. Man zahlt ja auch nicht. Es ist nicht so, wie ich mir das zum Beispiel von Thailand vorstelle, daß man in eine Bar geht, einen Preis aushandelt, und dann gehts ab. Erst wenn man in einer längeren Beziehung ist, zahlt man den Lebensunterhalt, so war es jedenfalls bei mir. Joe hatte keinen Job, aber eine Farm. Viele werden von Frauen in Deutschland ernährt. Die meisten haben mehrere Freundinnen, auch wenn man am Anfang gern glauben möchte „Du bist die einzige“. Da dachte ich natürlich schon mitunter: Jetzt bin ich genau wieder in den Verhältnissen, in denen ich vorher war.

Funktioniert das denn überhaupt noch als Befreiungsschlag?

Naja, das Befreiende war eben diese Art von Sex. Ich konnte mir allerhand gestatten. Es einfach zu tun. Das war für mich sonst immer mit großem Druck belastet.

Sie haben doch in den sechziger und siebziger Jahren viel mit Otto Mühl und seinen Aktionen zu tun gehabt. Wieso hatte das denn nicht diese befreiende Wirkung?

Ich habe meinen Mann kennengelernt, als ich noch zur Schule ging, und wir haben sehr früh geheiratet; deshalb waren es ja auch bei der Trennung schon 25 Jahre! Wir haben die ersten Pornofilme gezeigt, haben Mühls Performances und Prozesse organisiert. 1968 haben wir in der unfertigen U- Bahn diese „Underground Explosion“ zum Kölner Kunstmarkt gemacht, bei der zum ersten Mal überhaupt Sex im Film vorkam; Rolf Dieter Brinkmann las, und in der zweiten Nacht wurden die tausend Leute von der Polizei eingekesselt. Brakhage, Jacobs waren mit ihren Filmen in Köln. Pornographie war ja noch verboten. Wären nicht Journalisten dagewesen, unter anderem die süße Helma Brahms, wer weiß... Später kamen noch Fluxus und Happenings von Mühl dazu, die für Filme organisiert waren. Wir haben das zwar also zu unserem Thema gemacht, waren aber selber vollkommen monogam und traditionell — bestimmt eine Schizophrenie. Aber wir waren glücklich damit. Ich war auch von Ulrike Meinhof fasziniert und hätte das nie selbst machen wollen. Die Studentenbewegung oder der „Rotfunk“ WDR lehnten unsere Filme als reaktionären Avantgardismus ab; heute denke ich manchmal: Mensch, ich bin doch die einzige, die immer noch links ist.

Zu den Bildern: sie wirken zugleich flach und ungeheuer tief, zugleich statisch und vor allem im Verlauf dann heftig im Fluxus...

Ich habe immer mit der High-8 gefilmt, da kann man kaum ruhige Bilder mit machen; sie ist aber eben nicht so schwer wie die Bolex, mit der ich früher immer gearbeitet habe. Viele von diesen verwackelten Bildern habe ich dann auf 16mm und von einem Analyseprojektor abgefilmt, zum Teil in Zeitlupe. Durch diese mehrfachen Reproduktionen werden die Bilder eben plakativer, grobkörniger, aber zugleich auch abstrakter. Das gab mir auch die Möglichkeit, vor allem bei den Sexaufnahmen, Ausschnitte zu machen; die wollte ich auf gar keinen Fall als Ganzes zeigen. Man sieht nie Gesichter, es soll ja keine Pornographie sein, man soll niemanden identifizieren und dadurch von eigenen Projektionen abgelenkt werden. Es soll nicht konkret werden, deshalb also Details und Zeitlupe.

Der Auflösungsprozeß, den die gepanzerte Person da im Sex erlebt, wird also in bildliche Abstraktion übersetzt...

Ja, und gerade in den Nachtaufnahmen ist zusätzlich auch immer so ein bißchen was Bedrohliches dabei. Auch in den Geräuschen auf der Tonspur, dem Dröhnen, dem synthetischen Grillenzirpen.

Und jetzt?

Ich weiß es nicht. Ich will auf jeden Fall wieder wegfahren.

Interview: Mariam Niroumand

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