Gescheitelte Welt

■ „Ulrike Marie Meinhof“ von Timon Koulmasis (Forum)

Wenn, was man so einen „jungen Mann“ nennt, einen Film über Ulrike Meinhof macht, fürchtet man ein Heroinen-Porträt, die Geschichte eines Martyriums. Nun ertönen in diesem Film schon bald – zu den letzten Filmaufnahmen von Meinhof auf dem Weg ins Gericht – einige Strophen aus einer Purcell- Arie, und prompt sieht man die Befürchtung bestätigt: Das Klagelied soll die „weiche Seite“ der Porträtierten exponieren, die von ihr selbst nicht mehr zu bekommen war, die Verzweiflung als romantische Triebfeder der Stadtguerilla.

Dann stellt sich aber heraus, daß Koulmasis, ein enger Freund der Familie Meinhof/Röhl, der Sache sehr viel genauer auf den Grund gegangen ist. Klaus Wagenbach steht mit viel Wind in den Haaren auf dem Potsdamer Platz und erzählt, wie er sich damals, als sein Verlag überwacht wurde, mit Ulrike Meinhof traf, um ihr den Weg in den Untergrund auszureden. Er traf aber auf eine lange Kette von Zusammenhängen im Kopf der Meinhof, die es längst unmöglich machten, von graduellen Unterschieden zu reden. Antikommunismus führte zu Antisemitismus, führte in den Faschismus, führte in den Bundesrepublikanischen Kapitalismus, der wiederum in den Imperialismus führte.

Wo der Hang zum paranoiden Gesamtzusammenhang herkam, wird hier auf verschiedenen Wegen exploriert. Ulrike Meinhof, deren Mutter starb, als sie drei und deren Vater starb, als sie acht Jahre alt war, wuchs bei der Theologie- Professorin Renate Riemeck auf; die Kombination von Waisenkind- Dasein und Protestantismus hat offenbar wie eine Art Ritterrüstung gewirkt, einschnürend, aber auch vor dem Zerspringen bewahrend. „Ich, ich habe die Welt überwunden“, war ihr Konfirmationsspruch.

Seine Nähe zur Familie hat ihm den Zugang zu Filmaufnahmen aus den frühen sechziger Jahren verschafft, die einem „die schöne Frau“ wie sie in Journalistenkreisen albernerweise eine zeitlang hieß, auf Sylt mit ihrem Mann Klaus Rainer Röhl zeigt – froh, leicht, eine frei flottierende Intelligenz ohne jeden Hauch von Koketterie. Früher hätte man auch gesagt: lieb. Dann ein Hochzeitsfoto mit Meinhof und Röhl, der inzwischen jeden Botho Strauß rechts überholt. Ohne mit der Wimper zu zucken spricht Röhl im Film von „der Mätresse“ statt von seiner Geliebten, mit der er eigentlich schon längst Hochzeit gefeiert hatte – während Ulrike Meinhof noch glaubte, mit ihm zusammen in Hamburg ein Haus einzuweihen, in das sie gemeinsam mit den inzwischen geborenen Töchtern Regine und Bettina eingezogen waren (später hat sie dieses Haus einmal kurzfristig besetzt. Die Kränkung muß ungeheuerlich gewesen sein).

Wie ein geprügelter Hund zog sie nach Berlin und wird dann so, wie man sie aus den offiziellen Fernsehdokumenten kennt: leise, witzig und erschüttert. Eine Freundin erzählt, wie die Meinhof einmal sonntags bei ihr zu Besuch war, wie ein gewisses Licht hereinfiel auf so ein paar Tulpen, und wie sie dann sagte: „Warum kann man nicht so leben?“. Freimuth Duve hat gesehen, wie sie die Welt scheitelte in eine Dichotomie von Treue und Verrat, in der das „radikal anständig sein“ eben auch zum „radikal in den Orkus stürzen“ führt. Insofern macht das Purcell-Lied eben doch wieder „Sinn“. mn

„Ulrike Marie Meinhof“. R: Timon Koulmasis. Frankreich/Deutschland/Belgien 1994, 61 Minuten

16.2. Delphi 14.00; 16.2. HKW 21.00; 18.2. Akademie 12.30; 19.2. Babylon 17.00