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Schirm & ChiffreEin Kosmonaut kennt keinen Schmerz

■ Medien in Berlin: Mein erster einsamer Telefoneinsatz im audioreellen Cyberspace

Au Mann! Mir glühen die Ohren. Über 50 Minuten irre ich jetzt schon auf der „Starbase 49“ herum. Den Telefonhörer immer ans Hirn gepreßt, die Finger auf den Tasten des Pi-Pa-Phones, das ich normalerweise benutze, um meinen Anrufbeantworter fernabzufragen. Jetzt steuere ich mit dem Tongeber meine Bewegungen durch ein Raumschiff. Was allerdings nicht ganz einfach ist, weil ich mich ziemlich verrenken muß, um die passenden Piepser in die Muschel zu drücken. Aber egal, ein echter Kosmonaut kennt keinen Schmerz. Meine Mitreisenden „Spaceflittchen“, „Das hypergalaktische Model“ und „Jaba“ jammern schließlich auch nicht rum. Wahrscheinlich haben die schon ein modernes Telefon mit Tonwahl.

Zusammen stehen wir auf dem Neuner-Deck der „Starbase“, einer virtuellen Raumstation „auf der erdabgewandten Seite des Mondes“. Den Zutritt zu dem akustischen Cyberspace eröffnet allein das Telefon. Hat man sich über die 0190-Nummer reingewählt, liegt ein verwirrendes System von Gängen, Ebenen und Räumen vor einem. Ständig blubbern irgendwelche Sci-fi-Geräusche ins Ohr. Techno- und Tranceklänge beschwören eine kosmische Atmosphäre.

Erzeugt und gesteuert wird das interaktive Hörspiel von einem gigantischen Computer. Erfunden und installiert hat das Projekt die Firma Audioland in Hamburg. Der Boß von das Ganze ist Steffen Wernéry. Ein echter Kommunikationstausendsassa: 33 Jahre alt, Brandmeister bei der freiwilligen Feuerwehr und Ex- Manager des Chaos Computer Clubs.

Zusammen mit dem Informatiker André Schnoor ging er 1993 mit dem (weltweit) ersten „Audio-Reality-Projekt“ namens „Villa“ ans Telefonnetz. In der virtuellen Wohngemeinschaft tummeln sich mittlerweile mehrere tausend „Villanauten“. Schon so mancheR soll sich durch horrende Telefonrechnungen in den Ruin getrieben haben.

Denn natürlich ist weder der Villa- noch der Starbase-Spaß umsonst: 1,15 Mark kostet die Minute. Davon kassiert die Telekom gut die Hälfte, der Rest geht an Audioland. Das Firmenkapital kam übrigens von Beate-Uhse- Sohn Ulli Rotermund. Dennoch gibt es weder in der Villa noch auf der Starbase Telefonsex. Da hält die Telekom ihren Daumen drauf. Die sogenannten „Sprachmehrwertdienste“ unter den 0190-Nummern müssen jugendfrei sein. Wernéry sieht's gelassen: Auch ohne Sex „wird geknuspelt wie der Teufel“. Das kann ich nun nicht bestätigen. Soweit ich das nach meiner Stippvisite beurteilen kann, findet auf der Starbase eine ziemlich reduzierte Form der Kommunikation statt.

Miteinander geredet werden kann sowieso nur zeitversetzt. Die Telekom beansprucht für direkte Verbindungen das Monopol, weswegen die Sprechbeiträge in den Audioland-Systemen aufgezeichnet und dann für die anderen wieder abgespielt werden: „Hallo, hier ist Speedline?“ – Pause, Pause, Pause. – „Das ist ja auch ein ziemlich gewagter Name.“ – Pause, Pause, Pause. – „Ja, das hab ich mir dann auch gedacht ...“ – Pause, Pause, Pause. Dazwischen andere Stimmen und die programmierten Ansagen des Computers: „Du stehst jetzt in der Krankenstation. In diesem Raum bist du gerade allein.“

Ja. Wirklich habe ich mich auf der Starbase ziemlich einsam und verloren gefühlt. Aber das mag daran liegen, daß ich sowieso eher schüchtern bin. Da ändern auch der Cyberspace und ein Stundenpreis von 69 Mark nichts dran. Martin Muser

P.S. Der Weg ins All führt über die 0190-577 997. Gratisinfos gibt es unter 0130-800 337.

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