Mehr Aufgeregtheit wäre am Platze

■ betr.: „Mehr Gelassenheit bitte!“ (Nun ist er Genosse, der Ex-Ge nosse Uschner) von Wolfgang Thierse, taz vom 7. 2. 95

Manfred Uschner hat der SED lange treu gedient und ihr erst bei ihrem Untergang den Rücken gekehrt. Das sollte man ihm heute nicht allzu hart vorwerfen, nur ganz wenige hatten im Sommer 1989 in Ostdeutschland den Mut, sich zu einer neuen sozialdemokratischen Partei zusammenzuschließen oder sich einer Bürgerrechtsgruppe anzuschließen, und auch von ihnen hielten viele zu lange am Traum von einer eigenständigen Entwicklung fest. Uschner gehörte nicht zur Opposition und auch nicht zu den Gründern von Bürgerrechtsgruppen. Dafür nimmt er heute für sich in Anspruch, den friedlichen Ausgang der Herbstrevolution mit verantwortet zu haben – man darf lächeln.

Lächeln kann man aber nicht mehr, wenn man daran denkt, daß Uschner Kader der zentralen SED-Nomenklatur war, und endgültig ist es mit jeglichem Verständnis aus, liest man die Verunglimpfungen, die er in den letzten Jahren gegenüber den Gründern der Ostsozialdemokratie und den östlichen Bündnisgrünen veröffentlichte. So hieß es schon 1993 in der Neuen Zeit, der Zeitschrift des von Uschner dominierten „Kautsky-Bernstein-Kreises“, die SDP sei am 7. Oktober 1989 „auf dem „letzten Pfiff“ gegründet worden, und zwar von jungen Leuten, die in den siebziger und achtziger Jahren noch vollkommen unbekannt gewesen seien (sollten sie etwa Bekanntheit bei deutsch-deutschen Gipfelgesprächen erlangen?), die sich durch militante Besserwisserei auszeichneten und sich nicht entblödeten, ihre „Mutterpartei“ im Westen anzugreifen. Außerdem wäre ihre Opposition ja unter dem Dach der Kirche abgedeckt gewesen und sowieso von der Stasi unterwandert. Weiterhin warf Uschner den Bürgerrechtlern und SDP- Gründern „maßlose Selbstüberhöhung“ oder Inkompetenz vor und machte sie dafür verantwortlich, daß die SPD im Osten ein mitgliederschwacher, sektenartiger Ableger der West-SPD sei. Die Botschaft, die hier verkündet wurde, ist klar: weg mit den Gesinnungsethikern von Schwante und her mit Genossen Uschner und denjenigen, die nach ihm kommen.

Im bisher letzten Heft der Neuen Zeit untermauerte Uschner diesen Anspruch noch mit der Legende, die eigentliche Opposition habe in der SED gesessen, ihre Anhänger seien in Zuchthäuser und Gefängnisse geworfen worden. Dies bleib Uschner zwar erspart, er schämt sich aber nicht, die Geschichte von Opfer und Täter in der DDR in skurriler Form auf den Kopf zu stellen. Die in seinen Augen anmaßenden Bürgerrechtler scheuten darüber hinaus nicht davor zurück, Andersdenkende zu diffamieren und zu kriminalisieren. So würden sie an der beruflichen Vernichtung Hunderttausender Menschen mitwirken und sogar gegen Manfred Stolpe Stellung nehmen. Nichts von alledem beim getreuen Genossen Uschner. Er verkörpert die Linie der (West)Partei, verehrt deren Führer und sieht sich in der Lage, der Ost-SPD endlich auf die Beine zu helfen. So stehen mit Uschner gute Zeiten ins Haus. Und genau hier ist nicht mehr Gelassenheit am Platz, wie Wolfgang Thierse meint, sondern eher mehr Aufgeregtheit.

Ob nun Uschner mit einem Trick in die SPD gelangt ist oder nicht, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, daß er jetzt zwar auf der Wartebank sitzt, letztlich aber der Blockadebrecher für andere Nomenklaturfunktionäre und Angehörige der Machteliten der SED sein könnte, die sich angeblich schon immer als Sozialdemokraten fühlten. Und diese Personen würden sich nicht mit der „einfachen“ Mitgliedschaft in der SPD begnügen. Das würde auf die Dauer die Ausgrenzung der Gründergeneration von Schwante bedeuten und wieder einmal hätte sich gezeigt, daß sich politischer Opportunismus letztlich doch auszahlt – wie wohl nur allzu oft in Deutschland. Rainer Eckert, Mitglied der

Historischen Kommission beim

Parteivorstand der SPD in

Bonn, Zeithistoriker an der

Humboldt-Universität Berlin

Wo ein Genosse ist, da ist die Partei! Und die hat bekanntlich immer recht. „Denn wer für das Recht kämpft, hat immer recht ...“, nicht wahr, Genosse Thierse? Ach nee, das darf ich ja jetzt nicht mehr so enge sehen. Jetzt, wo der Ex-Genosse Uschner als Genosse dem Genossen Thierse genossenschaftlich auf die Schulter hauen darf, zum Dank dafür, daß er den frischgebackenen Altgenossen in der taz höchstpersönlich seinen Mitgenossen vorgestellt hat!

Am zweiten Tag „danach“ befindet der Genosse Thierse, daß diese Handlung nicht die Welt bewegt. (Wäre ja auch schade, wenn unser schöner und ohnehin schon lädierter Globus dadurch noch mehr Schaden nehmen würde.) Also, sie bewegt sich noch.

War aber trotzdem pfiffig, den Alt-Genossen Uschner dann aufzunehmen, wenn die SPD in Berlin durch die Urwahl mal Positivschlagzeilen bekommt. Möglicherweise wäre ja die Meldung ganz unter den Pressetisch gefallen, und wenn nicht, hat man wenigstens für eine ausgewogene Außendarstellung der SPD gesorgt. Und damit das ganz klar ist – wer jetzt aufmuckt, ist entweder ein ostdeutscher SPD-Gründer, der sich vor den „Unterwanderstiefeln“ der SED beziehungsweise PDS fürchtet, oder ein „Eiferer“, der glaubt, „auf diese Weise alte Rechnungen begleichen zu können“, sagt der Genosse stellvertretender Vorsitzender.

Da traut man sich ja als Gründungsmitglied der SPD in der DDR kaum noch eine andere Meinung zu äußern, wo man doch so furchtsam sein soll. Aber ick trau mir mal und frage ganz öffentlich nach dem demokratischen und innerparteilichen Stil des Aufnahmeverfahrens. Wenn der Ex- und Alt-Genosse in seinem Ortsverein Treptow bei der Aufnahme durchgefallen ist und im Prenzlauer Berg trotz des Heimspielvorteils des stellvertretenden Parteivorsitzenden ebenfalls keine Mehrheit für sein Aufnahmebegehren gewinnen konnte, dann interessiert es mich schon, wieso er nun in Kreuzberg Mitglied geworden ist. Hat er bei einem Kreuzberger Genossen einen Zweitwohnsitz erhalten, oder sind die – pardon – stinknormalen ostberliner Mitglieder in ihren Entscheidungen sowieso für nicht ganz zurechnungsfähig zu erklären? [...] Sabine Leger,

Gründungsmitglied der SPD in

der DDR, Berlin