Unionistische Front gegen gesamtirische Institutionen

Die verschiedenen Traditionslinien protestantischen Widerstands in Nordirland mobilisieren gegen die anglo-britische Einigung  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

In der nächsten Woche, so hieß es gestern in Londoner Regierungskreisen, wollen Großbritanniens Premierminister John Major und Irlands Regierungschef John Bruton ihr gemeinsames Rahmendokument über die Zukunft Nordirlands vorstellen. Von einem „Durchbruch“ sprechen beide Seiten, von „wichtigen und ermutigenden Ergebnissen“. Dabei scheint sich Major längst dem Druck der nordirischen Unionisten gebeugt zu haben: Nach Berichten der Zeitung Observer ist das anglo-irische Diskussionspapier schon verwässert, bevor es überhaupt veröffentlicht ist.

Durch gezielte Indiskretionen wurde in der vergangenen Woche bekannt, daß in dem Papier die Einrichtung gesamtirischer Institutionen mit Exekutivgewalt vorgesehen sei. Obwohl Major versicherte, daß es sich dabei lediglich um eine Diskussionsgrundlage handle und das Ergebnis durch ein nordirisches Referendum abgesegnet werden müsse, löste die Nachricht bei den Unionisten ein empörtes Wutgeheul aus. Der Aufbau einer gemeinsamen Front gegen die anglo-irische Einigung jedoch ist nicht so einfach: Während die Ulster Unionist Party (UUP) noch leisere Töne anschlägt, will die Democratic Unionist Party (DUP) des Pfarrers Ian Paisley am liebsten gleich ein Forum aller protestantischen Organisationen einrichten. Als Kompromiß einigte man sich darauf, zu dem Vorgespräch in der vergangenen Woche zwar die Orangeisten-Orden, aber nicht die loyalistischen Organisationen einzuladen.

Die Orangeisten-Orden wurden 1795 als protestantischer Geheimbund mit streng antikatholischer Ausrichtung gegründet. Noch heute funktionieren sie als organisatorische und ideologische Klammer hinter den Kulissen der unionistischen Parteien, deren führende Politiker allesamt Mitglieder im Orden sind.

Zu den loyalistischen Organisationen gehören vor allem die Ulster Defence Association (UDA) und die Ulster Volunteer Force (UVF). Sie stehen nach eigenem Bekunden „loyal zur britischen Krone“ und kämpfen für den Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich. Bei der Wahl ihrer Mittel sind sie nicht zimperlich: Beide Organisationen haben in den drei Jahren vor ihrem Waffenstillstand im vergangenen Oktober mehr Menschen getötet als die republikanische IRA.

Die UDA wurde 1972 gegründet und hatte schon ein Jahr später 25.000 Mitglieder. Obwohl sie von Anfang an unter ihrem Tarnnamen Ulster Freedom Fighters (UFF) mordete, wurde sie erst im August 1992 verboten und operierte seitdem im Untergrund. Mit der Ulster Democratic Party (UDP) hat sie sich neuerdings einen politischen Flügel zugelegt. Bereits Ende der achtziger Jahre hatte sich die UDA neu strukturiert. Die Organisation war von Agenten der britischen Armee durchsetzt, die alte Führungsriege wanderte ins Gefängnis, und wer davon verschont blieb, wurde von den eigenen Leuten umgebracht. Begründung: Die alte Führung hätte nur noch an ihren eigenen Vorteil gedacht und die Sache verraten.

Die UVF, die mit der Progressive Unionist Party seit kurzem ebenfalls einen politischen Flügel hat, blickt auf eine weit längere Tradition als die UDA zurück. Als die britische Regierung 1912 eine beschränkte Souveränität für Irland ankündigte, mobilisierte Sir Edward Carson, ein brillanter Redner und überzeugter Tory, den protestantischen Bevölkerungsteil. Im Januar des folgenden Jahres gründete er die UVF und begann mit der militärischen Ausbildung der Mitglieder. Der Erste Weltkrieg machte einen Strich durch die Selbstbestimmungspläne für Irland. Tausende von Iren meldeten sich als Kriegsfreiwillige, aus der UVF wurde die 36. Division der britischen Armee gebildet. Am 1. Juli 1916 rannte sie in ihr Verderben: In der Schlacht an der Somme wurde die UVF praktisch aufgerieben und hatte mehr Gefallene zu beklagen als jede andere britische Division. Darauf sind Nordirlands Protestanten noch heute stolz, wie die Wandmalereien in den protestantischen Vierteln demonstrieren.

1966 wurde die UVF von Gusty Spence und anderen neu gegründet, um Nordirland – die Insel war 1922 geteilt worden – „vor dem Papismus zu retten“. Den ideologischen Unterbau dafür lieferte der junge Prediger Ian Paisley, der damals durch die Arbeiterviertel Belfasts zog und die Ängste und die traditionelle Lagermentalität der Protestanten schürte, die diese seit dem 17. Jahrhundert nicht losgeworden waren, als die britische Krone protestantische Siedler nach Irland schickte, um die rebellischen Iren unter Kontrolle zu halten. Schreibtischtäter Paisley machte sich das geschickt zunutze. 1971 spaltete er die alte unionistische Einheitspartei und gründete die Democratic Unionist Party (DUP) sowie seine eigene Kirche, die Free Presbyterian Church, die im vergangenen Herbst ihre erste Dependance in Wales eröffnet hat.

Paisleys Demagogie kommt vor allem in den Arbeitervierteln an: Kein Politiker erhält bei Wahlen so viele Stimmen wie er, auch nicht die Spitzenpolitiker der Ulster Unionist Party (UUP), der größten nordirischen Partei und Nachfolgerin der unionistischen Einheitspartei. Während die DUP stärker loyalistisch orientiert ist, tritt die UUP zwar ebenfalls für ein britisches Nordirland ein, ist dabei jedoch auf Seriosität bedacht. So hatte ihr Vorsitzender James Molyneaux den IRA-Waffenstillstand vom 1. September nicht von vornherein auf einen „Verrat der britischen Regierung“ zurückgeführt, die angeblich Zugeständnisse an die IRA gemacht habe, sondern er rief zum Abwarten auf. Prompt warfen ihm DUP und loyalistische Paramilitärs vor, die Interessen der Protestanten zugunsten seiner Karriere zu opfern.

Gesamtirische Institutionen sind aber auch für die UUP zuviel des Guten: Ihre neun Unterhaus- Abgeordneten, von denen Majors Minderheitsregierung abhängt, haben angekündigt, die Tories zu stürzen, falls ihre Wünsche im anglo-irischen Diskussionspapier nicht berücksichtigt werden.