Für ein Recht auf Abzocken

Die Münzspielautomatenbranche plagt neben Imageproblemen die Sorge um ihren Anteil / Von Auflagen „erdrosselt“  ■ Aus München Klaus-Peter Klingelschmitt

Fröhliche junge Leute scharen sich um Billardtische, sportliche Zeitgenossen lassen kleine Pfeile auf elektronische Dartscheiben sausen. Auch steckt schon mal einer aus der Clique der besserverdienenden Heranwachsenden einen Heiermann in den Geldspielautomaten – schließlich könnte der ja die Silberlinge für die nächste Runde am Simulationscomputer „Space-Pilot“ ausspucken.

So hätten sie's gern, die Betreiber der 400.000 „münzbetätigenden Spielgeräte“ in Deutschland, für die eine Informationsgemeinschaft Münzspiel GmbH (IMS) die Imagewerbung macht. „Wir sind ein Teil der Freizeitbranche, wie Erlebnisbäder, Diskotheken und Gaststätten“, sagte IMS-Geschäftsführer Heinz Warneke am vergangenen Wochenende auf einem Seminar der Branche in München. Die Wirklichkeit in den rund 6.500 Spielstätten sieht oft anders aus. In schmuddeligen Spielhallen vor allem in den Bahnhofsvierteln der Großstädte hängen meist traurige Gestalten an gefräßigen Geldspielautomaten. Kommunikation zwischen den – meist männlichen – Spielern findet kaum statt. Und Freude kommt nur dann auf, wenn das Gerät auch einmal auszahlt.

Das ist nur selten der Fall. Denn die Spielverordnung schreibt vor, daß die Geldspielautomaten nur 60 Prozent der Einsätze wiederausspucken müssen – zuwenig für die Spieler, zuviel für die stets lamentierende Branche. Die hat nicht nur mit Imageproblemen zu kämpfen, sondern hat inzwischen auch existenzielle Sorgen. „Unkoordinierte staatliche Maßnahmen“, so Warneke verärgert, hätten zur „Erdrosselung“ einzelner Betriebe oder sogar ganzer Unternehmensgruppen geführt.

Die Betreiber von Spielstätten und die Aufsteller von Automaten in Gaststätten hatten in der Tat bislang nicht nur Mehrwertsteuer auf die Beträge zu zahlen, die am Abend in der Kasse verblieben, sondern auch auf alle ausgezahlten Spielergewinne. Bis vor den Europäischen Gerichtshof zog die Branche, um sich die „ungerechte Sondersteuer auf die Spielergewinne“ (Warneke) vom Halse zu schaffen. Seit Ende 1994 darf von den Finanzämtern nur noch der Kasseninhalt mit Mehrwertsteuer belastet werden.

Doch inzwischen gingen auch immer mehr Kommunen mit einer Erhöhung der Vergnügungssteuer dazu über, abzukassieren und mit dem „schmutzigen Geld“ ihre Haushaltslöcher zu stopfen. Die Folge: „Die Investitionsfähigkeit der Unternehmen nimmt ab, die Investitionsbereitschaft ebenso“, so Warneke. Die meist mittelständischen Betriebe würden vom Gesetzgeber durch die restriktive Spielverordnung mit exakt festgelegten Automatenlaufzeiten und Gewinnreglementierungen zusätzlich angegangen. Und mit der Ausdehnung der Sperrzeiten habe der Staat ein weiteres „Sonderrecht“ für die Spielhallen geschaffen, das die Rentabilität vieler Unternehmen gefährde. 1992/93 seien deshalb fünf der acht größten Spielhallenbetreiber mit einem Umsatzvolumen von 400 Millionen Mark in Konkurs gegangen. Und fast 7.000 MitarbeiterInnen hätten dabei ihren Job verloren.

„Bigott“ nennt Warneke die einschränkenden Maßnahmen des Staates gegen die Unternehmen der „Unterhaltungswirtschaft“, die immerhin zwei Milliarden Mark Steuergelder pro Jahr abführten. Denn im Gegensatz zu seiner Branche seien die Spielbanken keinerlei Beschränkungen zum Schutze der SpielerInnen unterworfen. Dort dürfe sich auch in den Automatencasinos ohne Einlaßkontrolle jeder nach Herzenslust in den Ruin spielen, denn die Finanzminister der Länder schaufelten bis zu 95 Prozent der Umsätze der Casinos auf die Konten der Landeszentralbanken.

Der von der IMS als Referent geladene Expolizeipräsident von Berlin, Klaus Hübner, sah das ähnlich: Während bei den Geldspielgeräten in den Spielotheken die Möglichkeiten von Verlust und Gewinn, die Laufzeiten und der Spieleinsatz „zum Schutze des Spielers“ gesetzlich festgelegt seien, unterlägen die Glücksspielautomaten in den Casinos keinerlei Begrenzungen.

Als Lobbyist der Branche wurde Hübner dann philosophisch: Könne und dürfe denn der mündige Bürger überhaupt durch Strafandrohung, Kontrolle und Zügelung vor sich selbst geschützt werden? Oder gehöre es nicht vielmehr zum grundgesetzlich garantierten Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung, sein Geld auch „verplempern“ zu dürfen?

Hans-Ullrich Gallwas, Professor für Politik und öffentliches Recht an der Universität München, forderte denn auch „gleiches Recht für alle“. Schließlich hindere der Staat auch keinen Menschen daran, sich „zu Tode zu saufen oder zu fressen“. Gallwas meint dazu: „Die Eindämmung des Spieltriebes ist für sich genommen ein verfassungsrechtlich äußerst problematischer Regelungszweck. Denn was gehen den Staat schon die Triebe seiner Bürger an?“

Die Bigotterie des Staates korreliert allerdings mit der Bigotterie der Branche. Mit Spaßbädern vergleichbar sind die Spielhallen ganz bestimmt nicht, auch wenn die IMS zur Zeit versucht, mit der Vergabe von bis zu fünf Sternen für „vorbildliche Spielstätten“ das Niveau zu heben. Denn auch beim Zocken um die Ecke geht es ums „Abzocken“ der Kundschaft. Und am Ende bleiben – wie etwa in der Tabak- und Alkoholindustrie – Menschen auf der Strecke.

Experten gehen inzwischen davon aus, daß in Deutschland allein an den Geldspielautomaten in den Spielotheken etwa 8.000 bis 15.000 „belastete Vielspieler“ sitzen. Die wissenschaftliche Debatte darüber, ob sie der Geldspielautomat hat spielsüchtig werden lassen oder ob die „Vielspieler“ ohnehin neurotisch gestörte Menschen sind, ist noch im Gange.