Rußland sperrt Europa aus

■ Kein Visum für Tschetschenien-Delegation des Europaparlaments / Waffenstillstand vereinbart

Brüssel/Moskau (taz) – Das russische Parlament hat einer Delegation des Europaparlaments die Einreise nach Tschetschenien verboten. Der Präsident der Staatsduma, Ivan P. Rybkin, teilte in einem Brief mit, daß die geplante Reise von fünf Europaabgeordneten als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Rußlands gewertet werde. In dem Brief, der an den Präsidenten des Europaparlamentes, Klaus Hänsch, gerichtet ist, heißt es außerdem, die Duma sehe in der Euro- Mission zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Sinn. Das russische Konsulat sei deshalb angewiesen worden, keine Visa auszustellen.

Das Europäische Parlament hatte im Januar beschlossen, eine Ad-hoc-Gruppe nach Tschetschenien zu schicken, die dort die Möglichkeiten einer humanitären Hilfe prüfen sollte. Gegenüber der taz sagte die Delegationschefin Konstanze Krehl gestern, die Absage sei eine schwere Belastung für das Verhältnis der EU zu Rußland. Sie befürchte, daß die Entscheidung zum einen den nationalistischen Kräften in Rußland und zum anderen den Befürwortern einer härteren Gangart im Europaparlament in die Hände spiele. Parlamentspräsident Hänsch erklärte, das Einreiseverbot sei ein gravierender Verstoß gegen demokratische Gepflogenheiten, um so mehr, als es sich um einen Staat handele, „mit dem die Europäische Union auf vielfältige politische, wirtschaftliche und finanzielle Art verbunden“ sei. Die Abgeordneten werden heute beraten, wie sie reagieren wollen.

Rybkin spielte in seinem Brief auch auf die Aussetzung des Partnerschaftsabkommens zwischen der EU und Rußland an. Das Parlament in Straßburg hatte das Abkommen, das unter anderem Handelserleichterungen vorsieht, wegen des Tschetschenienkrieges vor einigen Wochen auf Eis gelegt. Man werde erst dann mit einer offiziellen Delegation reden, so Rybkin, wenn das Partnerschaftsabkommen endgültig beschlossen sei.

Die EU-Delegation will heute versuchen, zumindest ein Visum für Moskau zu bekommen, um dort mit Vertretern der Duma, mit Abgeordneten aus Tschetschenien, mit humanitären Organisationen und mit Soldatenmüttern zu sprechen. Konstanze Krehl sah gestern eine leichte Bewegung auf russischer Seite.

Im inguschischen Ordschonikidschowskaja unterzeichneten die Kommandeure der tschetschenischen und russischen Truppen gestern ein zweites Waffenstillstandsabkommen. Ab Donnerstag, 0 Uhr, sollen für 48 Stunden die Waffen schweigen. Vereinbart wurde außerdem der Austausch der Gefallenen und Verwundeten; nicht einigen konnten sich die Kommandeure auf einen Gefangenenaustausch. Bereits am Montag hatten die Konfliktparteien einen Waffenstillstand für schwere Waffen beschlossen, der allerdings mehrfach gebrochen wurde. Am Freitag wollen die Kommandeure erneut verhandeln. Der tschetschenische Präsident Dschochar Dudajew bezweifelte jedoch die ernsthafte Absicht der Russen, die Kämpfe zu stoppen. Er hatte gegenüber der baltischen Nachrichtenagentur BNS erklärt, der Krieg lasse sich nicht durch Verhandlungen auf Kommandeursebene beenden. Alois Berger Seite 8