Radieschen der Revolution

■ Ein witziges Spiel mit denn Ikonen der russischen Volks- und Staatskunst: Die Doppelausstellung des Künstlers Paul Renner

Besessene und Helden, Revolutionäre und Schamanen, Symbole und Mystiker empfangen derzeit die Besucher in der Ausstellungshalle der Firma „Tecnolumen“. In sechs Tableaus aus jeweils neun bis zwölf ikonenhaften Gemälden bilden sie – frei in den Raum gehängt, in einem Wechsel von Rück- und Vorderansichten – den Ausstellungszyklus „Russen – ein Pathos“ von Paul Renner.

Der Österreicher, bekannt für seine Arbeitsweise in thematisch geschlossenen Zyklen, kennt keine Berührungsängste zur sogenannten volkstümlichen Kunst. Lieber spielt er mit den Genregrenzen, vereint naiv anmutende Bilder von Tomaten, Radieschen und Mohrrüben mit expressiven Portraits von Lenin und Stalin unter dem gemeinsamen Begriff „Revolutionäre“.

Ihnen gegenüber hängen Gogol und Tatlin, Pawlov, Nijinski und – Gurken, jawohl, Gurken. Gemeinsamer Titel: „Besessene“. Zum Konzept gehört, daß jeweils eine Bilderreihe der anderen die Rückseite zuwendet, denn deren Farbsymbolik vertieft die abgebildete Thematik. So sind etwa die neun „Helden“ mit silbernen Rückansichten dekoriert, die Schamanen hinten geschwärzt und die Mystiker in Weiß getaucht, wobei der jeweilige Titel des gesamten Tableaus quer über die zusammengehörigen Bilderblöcke geschrieben steht, einem mosaischen Gesetzestext gleich.

In Renners humoristisch mit den Genres spielenden Gemälden stehen die Ikonenmalerei und der sozialistische Realismus ebenso selbstverständlich Pate, wie die Dekorationsschildchen, mit denen russische Marktfrauen ihre Sämereien (Tomaten, Gurken etc.) feilbieten. Sein Mischmasch hebt die Stilformen gleichsam dialektisch auf und verbindet sie zu einer formal gelungenen, neuen Synthese zwischen Alltags- und Hochkultur. Ein Eindruck, der noch verstärkt wird durch den Kontrast zu den Designerlampen und –möbeln, zwischen denen seine Bilder in der „Tecnolumen“-Halle hängen.

Der thematische Rundumschlag zwischen Astronauten, Gemüsestilleben und sozialistischer Symbolik, den diese Ausstellung präsentiert, steht aber nicht allein. Denn parallel dazu zeigt die Galerie beim Steinernen Kreuz einen zweiten Zyklus von Paul Renner. Sein Titel: „Zyklus Oblomow“. Hier überschreitet der Österreicher, der mehrmals lange in Rußland weilte und mit seiner Frau ein russisches Kind adoptiert hat, eine weitere Genregrenze, nämlich die zur Literatur. Seine in der Galerie beim Steinernen Kreuz ausgestellten Bilder – sechs an der Zahl – beschäftigen sich ausschließlich mit dem Romanhelden „Oblomow“, jener 1856 von Goncarov geschaffenen Figur des ewig faulenzenden Träumers, dessen Rolle zwischen Dekadenz und Modernitätskritik bei den Literaturkritikern bis heute umstritten ist. In pompösen Ölschinken beschwört Renner in einem Raum der Galerie das Oblomow'sche Zimmer mit rotem Plüschsofa, grünem Hausmantel und blauem Teppich, während er im Nebenraum auf einer ganz mit Silbergrau bemalten Wand den Schöpfer des Romanhelden mit einem Portrait ehrt. In der freilich nicht alles so konzeptionell überzeugend durchdacht wirkt wie im parallelen Zyklus bei „Tecnolumen“. Moritz Wecker

bis 1. April

Moritz Wecker

Paul Renner, bis...