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Zwei gegen die Taubenscheiße

■ Mit ausgeklügelten Methoden will Kreuzberg der Stadttaubenpopulation zu Leibe rücken / Jährlich bis zu 12 Tonnen Taubenkot am Marheinekeplatz

Für den einen sind sie Kiez- Geier und fliegende Ratten, für zahllose alte Damen sind sie fütterungswürdige Objekte großmütterlicher Fürsorge. Es geht um die Stadttaube, Columba livia domestica genannt. Der geht es nun, so will es das Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamt Kreuzberg, wissenschaftlich und mittels ökologischer Methoden an die gurrende Kehle. „Da bisherige, unterschiedliche Einzelmaßnahmen zur Lösung des Taubenproblems im Bezirk keinen Erfolg gezeigt haben, soll nun mit Hilfe zweier wissenschaftlicher ABM-Kräfte eine dauerhafte Bestandssenkung der Stadttauben angestrebt werden“, erklärte gestern der Kreuzberger Gesundheitsstadtrat Gerhard Engelmann (CDU).

Das Problem: Die unnatürlich großen Taubenpopulationen in den Städten führen zu einer Reihe von Gefährdungen für den Menschen und die Tauben selbst. An den überbevölkerten Brutplätzen bestehen für die Tiere durch Streß, Parasiten und Krankheiten katastrophale „slumartige“ Lebensbedingungen. Das Futterangebot, das den Tauben aus falsch verstandener Tierliebe so überreich angeboten wird, ist nicht artgerecht, so daß die Tiere erhebliche Vitamin- und Mineralstoffdefizite erleiden, erklärte Dr. Olaf Stenvers, einer der beiden wissenschaftlichen ABM-Kräfte, die sich dem Problem nun widmen sollen. Stenvers ist Bakteriologe und Virologe und war zuvor an der Freien Universität mit der Erforschung des Robbensterbens beschäftigt. Jede Taube sondert jährlich bis zu 12 Kilogramm Feuchtkot ab. Bei Schwärmen von tausend Tieren, wie sie beispielsweise am Kreuzberger Marheinekeplatz auftreten, fallen so pro Jahr 10 bis 12 Tonnen Taubenscheiße an. Da die Vögel vorwiegend in den dichtbesiedelten Kiezen rumgammeln, stellt der Kot für die betroffene Bevölkerung ein großes hygienisches Problem dar.

Da sich die Tauben als wahre Stadtstreicher den Volkszählungen bislang fliegend verweigert haben, kann man ihre Zahl nur schätzen. Derweil geht man von 30.000 bis 150.000 Gattungsexemplaren allein in Berlin aus. Während in anderen Städten die Stadttaubenpopulationen durch Fallenfänge, Abschuß- und Vergiftungsaktionen bekämpft wurden, hatten Berliner Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämter bis in die achtziger Jahre hinein versucht, der ungezügelten Vermehrung mit einer Art Antibabypille beizukommen. Doch das verwendete Taubenregulans Busulfan mußte wegen schwerer Nebenwirkungen vom Markt genommen werden: Die Tauben starben zum Teil unter Qualen. Derzeit arbeitet die Tiermedizinische Hochschule Hannover an einer neuen Taubenpille. Mit ihrer Hilfe, so die Direktion des bezirklichen Veterinäramts, will man die Kreuzberger Tauben in den nächsten Jahren um 50 Prozent dezimieren.

Ein weiterer Ansatz liegt in der Bereitstellung von Nistplätzen für Turm- und Wanderfalken. Die natürlichen Feinde der Stadttauben sollen auf ökologisch vertretbare Art für eine weitere Reduzierung sorgen. Eine nicht zu unterschätzende Unterstützung bei der Eindämmung von La Palomas Fortpflanzungswut verspricht sich das Amt von der Öffentlichkeitsarbeit. Dazu plant man eine Kampagne unter dem Motto: „Nicht füttern ist Tierschutz“. Peter Lerch

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